Rhein-Lahn/Limburg

Corona wirkt nach: Bedarf an psychologischer Beratung in der Region ist hoch

Eva Hannöver-Meurer spricht im Interview über psychologische Beratung der Caritas.  Foto: DiCV Limburg/Clemens Mann
Eva Hannöver-Meurer spricht im Interview über psychologische Beratung der Caritas. Foto: DiCV Limburg/Clemens Mann

Der Bedarf an psychologischer Beratung ist während der Corona-Pandemie sprunghaft angestiegen. Der Caritasverband für die Diözese Limburg und das Bistum Limburg haben daher 250.000 Euro für zusätzliche Beratungsangebote zur Verfügung gestellt.

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Im Interview erklärt Eva Hannöver-Meurer, Referentin für die psychologischen Beratungsdienste in der Diözese Limburg, was mit den Mitteln erreicht wurde und mit welchen Herausforderungen die Dienste weiterhin zu kämpfen haben.

Frau Hannöver-Meurer, in der Corona-Zeit waren Beratungsangebote stark gefragt. Wie ist Ihre Bilanz?

Sehr positiv. Wir haben die Mittel sehr schnell und zielgerichtet ausgeben können. Wir haben darauf gesetzt, dass die Träger der Beratungsstellen wissen, was sie am besten damit machen können. Dort wurde entschieden, ob zusätzliche Beratungsstunden, Gruppenangebote oder digitale Beratungsangebote aufgestockt werden sollen.

Gerade Jugendliche haben noch zu knabbern. Sie hatten häufig keine normalen Entwicklungsmöglichkeiten und können vieles nicht einfach nachholen.

Eva Hannöver-Meurer

Lassen sich hier Zahlen nennen?

Wir haben durch die kurzfristige Aufstockung von Beschäftigungsverhältnissen oder die Einstellung neuer Honorarkräfte fast 3000 Stunden an zusätzlicher Beratung oder Gruppenangeboten anbieten können. Damit haben wir etwa 1000 Personen erreicht: Paare, Kinder, Jugendliche und Familien.

Gab es einen Schwerpunkt?

Den Schwerpunkt würde ich rund um Familien mit Kindern und Jugendlichen sehen. Natürlich haben wir auch Beratungsstellen, die auf Paare spezialisiert sind. Hier sind oft Paare gekommen, die in schwierigen Situationen steckten oder extrem belastet waren. Da sind häufig indirekt Kinder und Jugendliche betroffen, die in diesen Beziehungen aufwachsen.

Wurden mit den zusätzlichen Mitteln auch andere und neue Angebote geschaffen?

Ja. Und diesen Nebeneffekt haben wir zunächst so gar nicht erwartet. In einer Beratungsstelle konnte kurzfristig eine Musiktherapeutin eingestellt werden, deren Kompetenzen auch ins Team zurückwirken. Andere haben Ressourcen vermehrt in die Onlineberatung, in digitale Beratungsformate oder neue Gruppenangebote investiert.

Sie haben den Ausbau digitaler Beratungsangebote angesprochen. Ist das Thema „Digitalisierung“ insgesamt wichtiger geworden?

Auf jeden Fall. Durch die Corona-Pandemie hat das Thema „Digitalisierung“ einen regelrechten Schub bekommen.

Unser Leben hat sich weitgehend normalisiert. Es gibt keine Einschränkungen mehr. Spüren Sie Nachwirkungen der Pandemie?

Unsere Hoffnung, dass wir mit den zusätzlichen Mitteln kurzfristig die hohe Nachfrage bedienen können und dann wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen, hat sich überhaupt nicht bestätigt. Die Wartelisten sind weiterhin lang, und der Bedarf bleibt weiter sehr hoch.

Gerade Jugendliche haben noch zu knabbern. Sie hatten häufig keine normalen Entwicklungsmöglichkeiten und können vieles nicht einfach nachholen. So mancher hat in der Schule oder beim Übergang von der Schule in die Ausbildung die Erfahrung gemacht, abgehängt zu sein. Auch der Sprung aus dem Elternhaus heraus, ein wichtiger Schritt in der Entwicklung, konnte für viele Jugendliche nicht stattfinden. Auch das Erleben von gemeinsamen spontanen Unternehmungen mit der Peergroup war vielen Kindern und Jugendlichen nur sehr eingeschränkt möglich.

Die psychosozialen Beratungsstellen

Im Bistum Limburg gibt es 16 psychologische Beratungsstellen. Neben Beratungsangeboten für die Ehe-, Familien- und Lebensberatung gibt es auch Erziehungsberatungsstellen und Angebote für Jugendliche und Kinder sowie die Telefonseelsorge mit ihren Krisen- und Lebensberatungsstellen. Das Beratungsangebot ist kostenlos. red

Gibt es neben den Nachwirkungen noch weitere Herausforderungen für die Stellen?

Eine weitere Herausforderung sind natürlich die multiplen Krisen, die wir erleben. Das ist der Ukraine-Krieg, der Klimawandel und wie sich unsere Gesellschaft weiterentwickelt oder die Kirchenkrise als ein Beispiel, wenn Vorbildinstanzen wegfallen. Das Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen ist dadurch nachhaltig erschüttert, und das wirkt nach.

Ist der Fachkräftemangel auch ein Thema in den Beratungsstellen?

Ja, der macht sich aber sehr unterschiedlich bemerkbar. Wir haben Beratungsstellen, die momentan keine Probleme haben, neue Mitarbeitende zu finden. Wir haben aber auch Beratungsstellen, wo das schwierig ist. Der Wettbewerb um kluge Köpfe ist wirklich hart. Psychologen, Sozialpädagogen, Mitarbeitende in therapeutischen Berufen werden gesucht.

Lässt sich da gegensteuern?

Eine Fachkräftekampagne hilft uns an der Stelle nicht weiter. Was wir brauchen, sind Ressourcen, damit wir Menschen, die potenziell geeignet sind und eine gute Grundausbildung mitbringen, mit beraterischem Fachwissen weiterqualifizieren können. Jemand, der aus dem Studium kommt, kann in der Regel nicht direkt eine zerstrittene Familie beraten.

Wie sieht es mit der Refinanzierung der Beratungsangebote aus? Wie hoch ist der Anteil eigener Mittel?

In Hessen liegt der Anteil bei 100 Prozent, wenn es um die klassische Ehe-, Familien- oder Lebensberatung (EFL-Beratung) geht, das heißt, wenn die Beratung nicht Teil einer Erziehungsberatung ist oder keine Kinder involviert sind, wie es das Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) vorschreibt. Die Beratung von Paarkonflikten wird in diesem Fall also zu 100 Prozent aus kirchlichen Ressourcen finanziert.

Über die Refinanzierung der Angebote der Erziehungsberatungsstellen nach SGB VIII wird jeweils am Ort mit den Jugendämtern verhandelt. Auch hier bringen die Träger Eigenmittel ein. In Rheinland-Pfalz sieht das ein bisschen anders aus. Auch dort müssen die Träger mit den Kommunen verhandeln und Eigenmittel einbringen. Allerdings fördert das Land auch integrierte Beratungsstellen, die sowohl EFL- Beratung als auch Erziehungsberatung anbieten.

Eva Hannöver-Meurer

Eva Hannöver-Meurer leitet das Kompetenzfeld Kinder, Jugend, Familie, Integration im Caritasverband für die Diözese Limburg. Als Referentin ist sie zudem zuständig für die psychologischen Beratungsstellen im Bistum. red

Sehen Sie auch woanders dringenden Handlungsbedarf?

Wir brauchen kostendeckende Finanzierungsmodelle. Die Träger bringen aktuell hohe Eigenmittel für die Beratungsstellen ein. Die Pauschalen zur Refinanzierung der Angebote der Erziehungsberatung reichen nicht aus, und auch Kostensteigerungen werden nicht aufgefangen, sodass der Anteil an den Eigenmitteln in den vergangenenJahren gestiegen ist. Dabei ist es eine kommunale Pflichtaufgabe, Erziehungsberatung vorzuhalten.

Und wir brauchen die Absicherung eines psychologischen Beratungsangebots für Menschen, das eben nicht durch das SGB VIII abgedeckt ist. Darunter fällt die klassische Ehe- und Paarberatung oder auch die Beratung älterer Menschen. Auch bei Hochaltrigen kann es Konflikte oder Bedarf nach psychologischer Beratung geben.

Angesichts der weiterhin sehr hohen Nachfrage brauchen wir dringend zusätzliche Ressourcen, um weitere Beratungsangebote finanzieren zu können. Ein gemeinsamer Sonderfonds des Bundes, der Länder und der Kommunen für die nächsten fünf Jahre wäre notwendig, um die Menschen nach der Corona-Krise und angesichts der aktuellen Krisen mit zusätzlichen Beratungsangeboten zu begleiten.

Welche Rolle spielen die Beratungsstellen in Abgrenzung zu psychotherapeutischen Praxen und Kliniken? Dort gibt es Wartezeiten von mehreren Monaten ...

Da sind wir in der Regel niedrigschwelliger und schneller unterwegs und bieten offene Sprechstunden an. Wir leisten als niedrigschwellige Anlaufstelle eine erste, grundsätzliche Einschätzung bei Problemen, müssen aber bei therapeutischem Bedarf an das Gesundheitssystem verweisen. Angesichts des aktuellen Mangels an Therapieplätzen und der hohen Nachfrage nach Beratung ist das Angebot der katholischen Beratungsstellen für viele Menschen eine wichtige Hilfe.