Trier

Cyberbunker-Betreiber müssen Jahre in Haft: Gericht verurteilt Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung

Von Birgit Reichert (dpa)
Der Hauptangeklagte (links) im sogenannten Cyberbunker-Prozess spricht mit seinem Verteidiger Uwe Hegner. Er soll ein illegales Rechenzentrum für kriminelle Geschäfte in Traben-Trarbach betrieben haben.
Der Hauptangeklagte (links) im sogenannten Cyberbunker-Prozess spricht mit seinem Verteidiger Uwe Hegner. Er soll ein illegales Rechenzentrum für kriminelle Geschäfte in Traben-Trarbach betrieben haben. Foto: dpa

In einem der bundesweit größten Prozesse um Cybercrime sind die Betreiber eines unterirdischen Rechenzentrums für kriminelle Geschäfte im Darknet zu Haftstrafen verurteilt worden. Alle acht Angeklagten hätten sich im „Cyberbunker“ der Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung schuldig gemacht, sagte der Vorsitzende Richter Günther Köhler. Der 62 Jahre alte Kopf der Bande bekam eine Haftstrafe von fünf Jahren und neun Monaten.

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Mit dem Urteil geht ein mehr als einjähriger Prozess zu Ende. Erstmals standen nicht die Täter im Fokus, die im Darknet illegal etwa Drogen oder Waffen verkaufen, sondern die, die die Geschäfte als Webhoster technisch erst möglich machen. Über die Server in einem alten Bunker in Traben-Trabach an der Mosel liefen von 2014 bis 2019 Drogendeals im Wert von vielen Millionen Euro, Datenhehlerei, Computerangriffe und Falschgeldgeschäfte. Insgesamt ging es um knapp 250.000 Straftaten.

Von dem Vorwurf der Beihilfe zu den Tausenden Straftaten, die über die Seiten liefen, sprach das Gericht die Angeklagten frei. Sie hätten zwar fast alle gewusst, dass ihre Kunden die Server für strafbare Handlungen nutzten. „Eine generelle Kenntnis, dass illegale Dienste gehostet werden, reicht aber für den Gehilfenvorsatz nicht“, sagte Köhler. Sie hätten über jede konkrete Haupttat Bescheid wissen müssen. Das sei nicht nachgewiesen worden.

Ein sogenannter Manager (52) der Bande, der mit seinem Geständnis zur Tatauferklärung beigetragen hat, muss demnach zwei Jahre und sechs Monate in Haft. Der ältere Sohn (35) des Hauptangeklagten, der die Nummer drei im Bunker war, muss vier Jahre und drei Monate ins Gefängnis. Die drei bleiben auch nach der Urteilsverkündung in Haft. Bei den übrigen Angeklagten lagen die Strafen zwischen drei Jahren und einem Jahr auf Bewährung. Die meisten Angeklagten sitzen bereits seit September 2019 in Untersuchungshaft.

Die kriminelle Vereinigung habe die Straftaten billigend in Kauf genommen, sagte Köhler. Das Geschäftsmodell sei allen Mitgliedern bekannt gewesen. Der Cyberbunker warb damit, technisch alles möglich zu machen – außer Kinderpornografie und Terrorismus. Nach dem Motto „no matter what“ sicherte man Kunden zu, die Internetseiten online zu halten – „egal, was passiert“.

Ein „kugelsicheres“ Servernetz

Laut Köhler hat die Beweisaufnahme ergeben, dass die sieben Männer und eine Frau einen „Bulletproof-Hoster“ (kugelsicheren Hoster) betrieben – der behauptete, ein vor dem Zugriff der staatlichen Ermittlungsbehörden sicheres Datenzentrum anzubieten. Die Kunden blieben anonym, die Angeklagten traten nach außen nicht mit echten Namen auf. Und wenn es Missbrauchsmeldungen gab, bot man den Kunden einen „Tarnkappenservice“ an, um Rechneradressen zu verschleiern.

Es habe im Bunker eine klare Aufgabenteilung zwischen den vier Niederländern, drei Deutschen und einem Bulgaren gegeben, schilderte der Vorsitzende Richter in seiner mehr als vierstündigen Urteilsbegründung. Der 62-Jährige sei der Rädelsführer gewesen, der alle Entscheidungen traf. Er hatte den alten Bunker 2013 für 450.000 Euro gekauft. Ein anderer war für die Betreuung von Neukunden zuständig, ein weiterer fürs Konfigurieren von Servern. „Jeder war mit seinem Tatbeitrag ein Rädchen im Getriebe und und trug so zum Gesamtziel der Gruppierung bei.“

Die unterirdische Anlage an der Mosel war im Herbst 2019 von Hunderten Polizisten nach fünfjährigen Ermittlungen ausgehoben worden. Das Gericht ordnete die Einziehung der Bunkeranlage als Tatmittel an. Zudem wurden knapp 900.000 Euro beim Hauptangeklagten eingezogen, da das Geld nachweislich aus Einnahmen von Kunden mit illegalen Handlungen stammte.

Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz, an der die Landeszentralstelle Cybercrime angedockt ist, hatte auch eine Verurteilung wegen Beihilfe zu den Straftaten gefordert. Oberstaatsanwalt Jörg Angerer kündigte am Montag an, er werde prüfen, ob er Revision eingelegen werde. Der Verteidiger des Hauptangeklagten dagegen, Uwe Hegner, hat sich bereits entschieden: Er wird Rechtsmittel einlegen. Es handle sich nicht um eine kriminelle Vereinigung. „Es gab kein Geschäftsmodell“, sagte er. Da es um „juristisches Neuland“ gehe, werde das sicher vor dem Bundesgerichtshof entschieden, so Anwalt Hegner.

Die Angeklagten hat in dem großen Prozess mit rund 80 Verhandlungstagen fast alle behauptet, nichts von den illegalen Inhalten auf den vermieteten Servern gewusst zu haben. Bei dem Schlag gegen den Cyberbunker waren 886 physische und virtuelle Server mit zwei Millionen Gigabyte sichergestellt worden. Der Anteil der illegalen Seiten habe damals bei 84 Prozent gelegen, sagte Köhler. Allerdings: Es seien nur 0,5 Prozent der Datenmenge ausgewertet worden.

Fall hat gewaltige Dimensionen

Das Verfahren um den Cyberbunker kann man getrost als einzigartig bezeichnen – schon allein wegen seiner Dimensionen. In dem 5500 Quadratmeter großen und fünf Stockwerke tiefen Schutzbau stellte die Polizei mehr als 886 Server sicher, auf denen eine Datenmenge von zwei Millionen Gigabyte gespeichert war. Um die zu sichern, würde man 2,6 Millionen CDs benötigen, und übereinander gestapelt ergäben die eine Höhe von 8000 Metern. Mehr als 10.000 Seiten umfassen die Akten, die die Prozessbeteiligten durcharbeiten mussten, mehr als 100 Zeugen wurden gehört.

Die Ermittlungen um die Anlage in Traben-Trarbach zogen 227 Folgeverfahren und mehr als 150 Festnahmen nach sich. In zwei weiteren Fällen wurde Anklage vor dem Landgericht Trier erhoben: Eine Eifeler Drogenbande muss sich dort aktuell verantworten, und das muss ab Donnerstag auch ein australisches Pärchen, bei dem es sich um die Betreiber des Darkmarket handeln soll, eines der größten illegalen Marktplätze weltweit. Das unter anderem im Cyberbunker gesammelte Wissen über diesen Marktplatz war Ausgangspunkt der internationalen Aktion „Dark HunTOR“, bei der Ende Oktober rund 150 Verdächtige festgenommen wurden – allein 47 in Deutschland. Einige der Verdächtigen werden von Europol als „hochrangige Ziele“ eingestuft. Birgit Reichert (dpa)/ Katharina De Mos (Trierischer Volksfreund)