Mainz

Hosianna 2.0

Karwoche. Vor ein paar Tagen war Palmsonntag. Früher haben wir da Buchssträußchen in die Kirche gebracht.

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Die wurden dort gesegnet und sollten anschließend über der Haustüre oder im Gebälk gegen Feuersbrünste und andere Unbill schützen. Rauchmelder gab es bei uns nicht. Ich hatte halt eine entbehrungsreiche Kindheit. Wir hatten nicht nur keine Rauchmelder, sondern auch keine Computer und kein Internet. Jetzt höre ich ein Raunen: „Aber wie konnten Kinder da überhaupt etwas lernen?“.

Meine ersten Lektionen in Sachen Öffentlichkeit und Politik habe ich anhand der Karwoche gelernt. Palmsonntag! Unter tosendem Applaus reitet Jesus auf einem Eselchen in Jerusalem ein. „Hosianna!“, rufen die Menschen, was auf Deutsch so viel heißt wie: „So sehen Sieger aus!“

Wäre der Adoptivsohn eines Zimmermanns schon bei Facebook gewesen, hätten sie ihn mit Freundschaftsanfragen überhäuft und überhaupt ein Riesennetz gesponnen („Jesus hat dich zu einer wunderbaren Krankenheilung eingeladen. Gefällt mir.“). Nur wenige Tage später dann der Absturz. „Kreuziget ihn!“ Im Internet hätten sich die Foren mit hasserfüllten Aufrufen gefüllt und mit Einladungen zur Facebook-Party auf Golgatha. Und anschließend die komplette Kreuzigung auf youtube. Und die Nägel bei ebay.

Auch ohne Internet war das für mich immer eine wunderbare Geschichte darüber, wie nah Aufstieg und Fall beieinander liegen und wie schnell man aus der Gunst der Menschen heraus und bei ihnen in Ungnade fallen kann. Später habe ich dann gelernt, übrigens immer noch ohne Internet, dass sich diese Geschichte immer mal wiederholt. Aber auch, dass es manchmal Menschen gibt, die andere glauben machen, sie wären Jesus. Sie reden Ihren Mitmenschen ein, sie könnten übers Wasser laufen und es anschließend noch in Wein verwandeln, und wenn man ihnen auf die Schliche kommt, fühlen sie sich ans Kreuz geschlagen.

Büb Käzmann alias Markus Höffer-Mehlmer ist Kabarettist und lebt gerne in Mainz (www.bueb-kaezmann.de)