Wie Psychotherapeuten das Gute im Leben lehren
Was der neue Präsident der rheinland-pfälzischen Psychotherapeutenkammer aus seiner jahrzehntelangen Praxis beschreibt, ist für Therapeuten Alltag. Für depressive Patienten ist es der Zauber, der einer Therapie innewohnt: die harte Selbsterkenntnis, dass ihr Leben nicht so hoffnungslos ist, wie sie es wahrnehmen, und dass sie es vor allem selbst in der Hand haben, aus dem Loch, aus dem Tal wieder herauszukriechen. In der Therapeutensprache heißt diese Technik sokratischer Dialog, angelehnt an den berühmten griechischen Philosophen.
Brettle erklärt diesen Dialog so: „Das heißt, dass man immer wieder hinterfragt, was der Depressive äußert. Man versucht, die negative Sicht auf Vergangenheit, Zukunft und auf sich selbst zu modifizieren. Denkfehler, die sich in einer Depression manifestieren, zu verändern.“ Es ist ein mühsamer Weg, doch für viele Patienten lohnt er sich. Verhaltens- oder tiefenpsychologische Therapie und analytische Verfahren gelten neben einer oft begleitenden medikamentösen Behandlung als erfolgreichste Rezepte gegen Depressionen.
Bis heute ist nicht völlig geklärt, warum Menschen depressiv werden. „Da spielen vielfältige Ursachen eine Rolle. Zum einen könnte es sein, dass die Körperchemie aus den Fugen gerät. Aber oft ist es so, dass Ereignisse von außen verarbeitet werden müssen. Eine Möglichkeit ist, dass dies nicht gelingt und sich dies in einer Depression niederschlägt“, sagt Brettle. Das Problem ist jedoch, dass wichtige Lebensereignisse wie der Tod eines Angehörigen oder die Trennung von einem Partner meist eine ganz normale Traurigkeit auslösen. Viele reagieren mit Rückzug. „Das ist keine Depression“, betont der Experte und erklärt: „Schwierig wird es, wenn diese Stimmung anhaltend und letztlich unabhängig vom Außen und vom Anlass anhält.“ Dann sind Betroffene in einem depressiven Dreieck, einer kognitiven Triade gefangen, sagt Brettle: „Eine negative Sicht auf die Vergangenheit und die Zukunft sowie ein negatives Selbstbild von der Person“.
Kritische Phasen sind neben unerwarteten Lebensereignissen vor allem die Pubertät, in der Depressionen entstehen können, aber oftmals auch unerkannt bleiben. Sehr typisch sind Depressionen auch bei alten Menschen. „Das liegt auch daran, dass einige weniger aktiv sind, ihnen Impulse fehlen oder vielleicht sogar eine gewisse Sinnlosigkeit empfinden.“ Häufig betroffen sind auch Mitglieder der Sandwich-Generation, also Menschen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren, die sich einerseits oft noch um die eigenen Kinder kümmern müssen, andererseits möglicherweise schon Eltern haben, die sie pflegen müssen. Und dann haben diese Menschen vielleicht auch noch Aufstiegswünsche, Stress, womöglich Frust im Beruf.
Ein gefährlicher Cocktail für die Seele, aber keinesfalls muss er zur Depression führen. Um gar nicht erst in die depressive Triade hineinzugeraten, kann man vorsorgen: „Bewegung ist ein ganz wichtiger Aspekt. Aktivität ist das Zauberwort. Als ich früher in der Klinik mit depressiven Patienten gearbeitet habe, habe ich erst einmal 20 Minuten mit ihnen Tischtennis gespielt. Dann habe ich gesagt: Jetzt können wir uns über ihre Depression unterhalten.“ Christian Kunst