Terror: Doppelte Geiselnahme hält Paris in Atem
Von Gerd Roth und Hanns-Jochen Kaffsack
Praktisch gleichzeitig läuft eine doppelte Geiselnahme ab, wobei vieles auf ein Zusammenspiel hindeutet. Erst nach Stunden kann die Polizei mit zeitgleichen Einsätzen beide Geiselnahmen beenden. Die drei Täter und mehrere Geiseln sterben.
In dem Ort Dammartin-en-Goële nordöstlich von Paris verschanzen sich die beiden Brüder Chérif (32) und Said Kouachi (34) – die mutmaßlichen „Charlie Hebdo“-Attentäter – nach einer Schießerei mit Elitepolizisten in einer kleinen Druckerei. Sie halten mindestens eine Geisel in ihrer Gewalt.
Ein paar Stunden später an einem anderen Ort: erneuter Geiselalarm. Ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet stürmt ein Mann, der am Vortag vermutlich eine Polizistin getötet hat, in Paris einen Supermarkt für koschere Lebensmittel.
Helikopter kreisen seit dem frühen Morgen im Nebel über dem 8000-Seelen-Ort Dammartin-en-Goële. Spezialeinheiten sperren in dem Gebiet weiträumig alles ab, um den mutmaßlichen Verbrechern ein Entkommen unmöglich zu machen. Die Welt will sehen, dass jene, die am Mittwoch kaltblütig und generalstabsmäßig in der „Charlie Hebdo“-Redaktion zwölf Menschen erschossen haben, hinter Gitter kommen.
„Es ist praktisch eine Kriegszone“, erzählen Anwohner den Reportern. In Paris tagt zu der Zeit gerade wieder das Krisenkabinett von Staatspräsident François Hollande. Es sollte nicht die letzte Zusammenkunft der Regierungsriege an diesem Tag der außergewöhnlichen Ereignisse sein. Während Spezialisten des Innenministeriums versuchen, in Kontakt mit den verschanzten Brüdern in Dammartin-en-Goële zu kommen, laufen die nächsten Hiobsbotschaften wegen der zweiten Geiselnahme ein.
An der Porte de Vincennes am östlichen Stadtrand von Paris stürmt ein Schwerbewaffneter den Supermarkt. „Ihr wisst, wer ich bin“, so soll er gerufen haben – es ist offensichtlich der Mann, der am Vortag im Süden der Hauptstadt wohl mit seiner Freundin eine Polizistin erschossen hatte. Was mit der Freundin ist, war zunächst unklar. Einen Zusammenhang zum Fall „Charlie Hebdo“ gibt es wohl auch – die Täter sollen sich kennen und sich abgesprochen haben.
Ausnahmezustand: Schulen evakuiert, Verkehrswege gesperrt. Bei der Jagd auf die beiden mutmaßlichen „Charlie Hebdo“-Attentäter war die Bevölkerung aufgefordert, „sich in den Häusern zu verbarrikadieren, die Fensterläden zu schließen und das Licht auszumachen“. Wer das tat, hörte nur die Helikopter über dem Dach.
Auch die Geiselnahme im Osten von Paris legt weite Teile des sonst belebten Stadtteils lahm. Schüler müssen in den Gebäuden bleiben. „Die ganze Schule ist in Panik“, berichtet ein 17 Jahre alter Schüler.
Auch in der jüdischen Gemeinde von Paris geht die Angst um. „Dies ist die schlimmste Zeit, an die ich mich erinnern kann“, sagt ein 54 Jahre alter Mann. „Es war noch nie so in Frankreich. Wir fühlen uns wie im Krieg, alle haben große Angst.“ Seine Mutter wohnt nahe des angegriffenen Geschäfts. Alle seine Bekannten haben Angst, auf die Straße zu gehen. „Wir stellen uns auf eine ganze Serie von Anschlägen ein, auch auf jüdische Einrichtungen.“
Am späten Nachmittag dann der Zugriff: Die Geisel, die die mutmaßlichen Attentäter des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ in Dammartin-en-Goële in ihrem Unterschlupf gefangen hielten, ist frei und unverletzt, die zwei Täter sind tot. In dem jüdischen Lebensmittelladen sterben mindestens drei Geiseln, vier sollen schwer verletzt sein. Auch der Geiselnehmer kommt ums Leben. Mehrere Geiseln rennen aus dem Laden und bringen sich in Sicherheit.