Berlin/Rheinland-Pfalz

Rainer Brüderle, der Unterschätzte

Rainer Brüderle
Rainer Brüderle Foto: dpa

Als junger Minister in Mainz hat Rainer Brüderle bei Gluthitze im (klimatisierten) Büro die Hosenbeine hochgekrempelt und lachend die Füße in eine Schüssel gesteckt. Mit dem Gag landete er wohl kalkuliert auf der Titelseite der Zeitung mit den großen Lettern. So einfach sind Sympathie-Coups nicht mehr, seit – gut 20 Jahre später – die Hauptstadtpresse den Wirtschaftsminister im Fokus hat.

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Berlin/Rheinland-Pfalz. Als junger Minister in Mainz hat Rainer Brüderle bei Gluthitze im (klimatisierten) Büro die Hosenbeine hochgekrempelt und lachend die Füße in eine Schüssel gesteckt. Mit dem Gag landete er wohl kalkuliert auf der Titelseite der Zeitung mit den großen Lettern. So einfach sind Sympathie-Coups nicht mehr, seit – gut 20 Jahre später – die Hauptstadtpresse den Wirtschaftsminister im Fokus hat.

Nach Kurt Beck hatte die sich schnell hämisch auf den nächsten „Provinz-Politiker„ eingeschossen. Kanzlerin Angela Merkel nutzte es trickreich aus, dass sein Standing nicht top war: Weil sie angeblich den als „Karl Moik der Wirtschaftspolitik“ verspotteten Brüderle nicht erreichte, luchste sie FDP-Chef Guido Westerwelle das schnelle Einverständnis ab, statt Brüderle Innenminister Thomas de Maizière (CDU) für den erkrankten Finanzminister Wolfgang Schäuble zum Euro-Krisengipfel zu schicken.

Das Kalkül ging auf. Das Getuschel wurde lauter. Aber Merkel, die Westerwelle auch Gesundheitsminister Philipp Rösler ins Kabinett gesetzt haben soll, unterschätzte den schlitzohrigen Rheinhessen. Als sie ihn im Machtkampf um die Opel-Milliarden brüskierte und wieder mit leichtem Spiel rechnete, triumphierte nicht sie, sondern er. Nicht Merkel, sondern Brüderle hatte mit seinem Nein „das letzte Wort„ – und sparte dem Steuerzahler damit viel Geld. Denn General Motors brauchte gar keine Hilfe, wie der Börsengang prompt zeigte. Als Minister mit der größten Erfahrung in Koalitionen kostete er den Sieg aber nicht vor Kameras aus.

„Sie haben klare Kante gezeigt und unsere Ehre gerettet“, applaudiert die liberale Basis in Rheinland-Pfalz beim Listenparteitag an der Ahr. Auch der Hauptstadtpresse dämmert, dass der angeblich schwächelnde Brüderle „der Unterschätzte„ („Handelsblatt“) ist. Erst weist er Opel in die Schranken, dann das bürokratische Monster „Elena„, wie sich das teure elektronische Lohnmeldeverfahren nennt. Da sich nach seinem Politik-Verständnis „Kurs halten“ auszahlt, verhinderte der FDP-Vize bei der Klausurtagung seiner tief verunsicherten Partei einen Beschluss zur Steuererhöhung und bekräftigte im Brief an Abgeordnete das Ziel einer Steuerreform. „Vom Prügel-Minister zum Polit-Star„, titelt Bild. Der 65-jährige Antitypus zu Guttenberg kann entspannt in die Sommerpause gehen. Aber er weiß, dass sein vor Monaten beschworenes Wort weiter gilt: „Abgerechnet wird nach vier Jahren.“

Von unserer Redakteurin Ursula Samary