Grüne in der Warteschleife

Kurz vor der Sommerpause wirkt der weibliche Teil der Grünen-Parteispitze alles andere als entspannt, stattdessen durchaus beunruhigt. Claudia Roth fährt nicht weit weg in Urlaub und auch nicht lange, erzählt sie. In Euro-Krisenzeiten wie diesen ist man auch in der Opposition kaum mehr abkömmlich. Doch auch aus einem anderen Grund dürfte die 56-Jährige so wenig gelassen sein.

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Ihre Partei, noch vor einem Jahr im Höhenflug, dass der Beiname „Volkspartei“ nicht spottend, sondern ernst gemeint ausgesprochen wurde, liegt zurzeit wieder wie ehemals bei 13 Prozent in den Umfragewerten. Auch die Parteiführung muss sich fragen lassen, warum es für eine Fortsetzung dieses Höhenflugs im Bund nicht reichte. Und warum die Grünen ein Jahr vor der Bundestagswahl seltsam gedämpft wirken.

Eveline Lemke – Als erste grüne Wirtschaftsministerin hat die 48-jährige Rheinland-Pfälzerin die Chance, in der Praxis die Idee der „Green Economy“ – einer grünen Wirtschaft – umzusetzen. Im Bund schaut man deshalb gespannt auf die Arbeit der grünen Superministerin, die auch für Energie zuständig ist.

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Robert Habeck – Der 42-jährige Vorsitzende in Schleswig-Holstein führte die Grünen im Norden in eine Regierungskoalition mit der SPD. Er ist der erste Energiewendeminister Deutschlands. Der politische Quereinsteiger – Habeck ist promovierter Philosoph – will seine Partei breiter aufstellen und gilt als ehrgeizig.

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Kerstin Andreae – Die 43-jährige Baden-Württembergerin stieg von der wirtschaftspolitischen Sprecherin erst kürzlich zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag auf. Der Name der durchsetzungsstarken Volkswirtin wird immer wieder genannt, wenn es um Nachwuchstalente bei den Grünen geht.

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Boris Palmer – Der 40-jährige Oberbürgermeister Tübingens ist Befürworter einer schwarz-grünen Koalition und mischt sich immer auch bundespolitisch ein, zuletzt in die Kandidatenfrage, indem er sich offensiv gegen ein Duo Roth/Trittin aussprach. Palmer ist nicht unumstritten in der Partei, einflussreich ist er aber auch.

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Roth und Co-Parteichef Cem Özdemir würden solche Eindrücke zwar weit von sich weisen. Erst vor Kurzem haben die Grünen leidenschaftlich und als Einzige in aller Öffentlichkeit um ihre Haltung zu Euro-Rettungsschirm und Fiskalpakt gestritten. Und Özdemir erregte mit dem Vorschlag die Gemüter der Parteilinken, einen grundsätzlichen Wandel in der grünen Sozialpolitik hinzulegen: mehr Geld in Bildungsinfrastruktur, weniger in Transferleistungen. Es ist also durchaus Leben in der Bude bei den Grünen, das schon. Aber mehr innerparteilich als öffentlich wahrnehmbar. Zum großen Dauerthema Euro-Krise hat sich mit Jürgen Trittin eines der prominentesten Grünen-Gesichter zum Experten entwickelt. In der Rolle der großen Krisenmanager werden die Wähler sie aber deshalb im nächsten Jahr noch nicht sehen. Das liegt auch daran, dass die Grünen im vergangenen Jahr die Chance verpasst haben, sich entschlossen breiter aufzustellen.

Fukushima und Stuttgart 21

Rückblick: Der ausbaufähige Höhenflug der Grünen begann eigentlich schon im Herbst 2010. Damals entschieden Union und FDP entgegen der Mehrheit der Bevölkerung für eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke. Die Grünen konnten mit lautstarkem Protest ihr Profil als Anti-Atomkraft-Partei schärfen, sie legten zu. Die Explosion der Reaktoren im japanischen Fukushima gab den Grünen schließlich weiteren Rückenwind und das nicht mehr nur vonseiten ihrer eigenen Klientel.

In Baden-Württemberg tat der dilettantische Umgang der CDU-geführten Landesregierung mit den Protesten gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 sein Übriges. Die Sensation gelang: Am 27. März wurden die Grünen in Baden-Württemberg mit 24,4 Prozent zweitstärkste Kraft und Winfried Kretschmann Ministerpräsident. Am selben Tag schafften außerdem die Grünen in Rheinland-Pfalz mit 15,4 Prozent den Sprung aus der außerparlamentarischen Opposition direkt auf die Regierungsbank mit der SPD.

Die Sympathiewerte für die Ökopartei schossen auch bundesweit in die Höhe, über einige Monate lag sie stabil über 20, zeitweise fast 30 Prozent – und damit auf Volksparteiniveau. Es war der Moment, als man erstmals Grüne, noch etwas verschämt zwar, laut darüber nachdenken hörte, dass man 2013 möglicherweise sogar einen Kanzlerkandidaten benötigen würde.

Es war auch der Moment, als die Fraktionschefin im Bundestag, Renate Künast, einen scheinbar über jeden Zweifel erhabenen Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit selbstbewusst herausforderte – und zeitweise sogar mit der Möglichkeit einer eigenen Mehrheit kokettierte. Dass Künast bei der Berlin-Wahl mit 17,6 Prozent weit hinter den Erwartungen zurückblieb und die Grünen jetzt nicht einmal mitregieren, hat das Selbstbewusstsein der Partei offenbar doch stärker erschüttert als nach außen zugegeben wird.

Braver und kompromissbereiter?

Doch zwischen Baden-Württemberg im März und Berlin im Herbst war noch mehr passiert. Bei den Umfragewerten von mehr als 20 Prozent war es manchen Grünen, besonders im linken Flügel, bereits schwindelig geworden. Man sorgte sich um den Markenkern der Partei, wenn sie sich zu sehr verbreitern würde – und damit noch bürgerlicher, braver, berechenbarer und kompromissbereiter werden könnte. Eine Bundestagsabgeordnete sagte damals, dass sie ihre eigene Partei eigentlich „lieber bei 13, 14 Prozent“ sieht. Inzwischen regieren die Grünen in Nordrhein-Westfalen weiter und in Schleswig-Holstein mit. Und trotzdem bleibt der Eindruck, dass hier eine Partei als Tiger hätte springen können, sich aber schon vorab für den Bettvorleger entschieden hat.

Es gibt nicht einmal ein Spitzenteam, weil die Partei sich nicht einig ist, wie es aussehen soll. Eine Frau, ein Mann? Ein Realo, ein Linker? Bisher hat nur Claudia Roth zu verstehen gegeben, dass sie kandidieren will. Dass andere nicht aus der Deckung kommen, lässt die Partei auch nicht gerade forscher wirken, geschweige denn regierungslustig.

Rena Lehmann