Die SPD hat noch nicht auf Angriff geschaltet

Sigmar Gabriel
Ein möglicher Kandidat in der K-Frage: Sigmar Gabriel. Foto: DPA

Die Genossen lassen bisher kein klares Profil erkennen, und für die Bundestagswahl im kommenden Jahr fehlt der geborene Kandidat. Eine Analyse unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Berlin. Die Vätermonate mit Tochter Marie können SPD-Parteichef Sigmar Gabriel nicht von der politischen Bühne fernhalten. Im Gegenteil, der 52-Jährige gibt ein Interview nach dem anderen, mischt sich via Internet in aktuelle Debatten ein und sprüht vor seinen (von manchen so gefürchteten) spontanen Einfällen. Ausgelassen und hemdsärmelig gibt sich auch Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier vor der Sommerpause in Berlin. Und Peer Steinbrück erzählt auf Festen gut gelaunt finanzpolitische Witze. Die Troika ist bestens aufgelegt. Und trotzdem kommt die Partei etwas mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl 2013 nicht in die Offensive. Für den angekündigten Sturm aufs Kanzleramt müsste sie endlich Profil und Personal herzeigen.

Denn Wechselstimmung herrscht trotz einiger guter Nachrichten für die Genossen im Bund noch keine. Gerade erst haben sie mit 483.226 Mitgliedern zum ersten Mal seit vier Jahren wieder mehr Mitglieder als die Christdemokraten, die nur auf 482.951 kommen. Auch bei den vergangenen Landtagswahlen hatte die SPD die Nase vorn. Im wichtigen, bevölkerungsstärksten Nordrhein-Westfalen kann Ministerpräsidentin Hannelore Kraft mit den Grünen jetzt stabil regieren, in Schleswig-Holstein gelang es sogar, eine schwarz-gelbe Landesregierung abzulösen. Über den Bundesrat kann die SPD jetzt schon bundespolitisch die Muskeln spielen lassen. Aber noch sprechen die Umfragezahlen im Bund eine andere Sprache. Zuletzt lag die SPD bei 30, die Union bei 36 Prozent. Das würde für die Sozialdemokraten nicht reichen, zumal die Grünen auch bei 13 Prozent verharren.

Depressionen von einst

Um zu verstehen, warum die Partei bei solchen Werten gut gelaunt ist, muss an ihren tiefen Fall von 2009 erinnert werden: Mit 23 Prozent haben die Wähler damals den Fakt, dass Union und SPD gemeinsam das Land solide durch die erste Krise regiert haben, gnadenlos nicht zur Kenntnis genommen und die Sozialdemokraten abgestraft. Minus 11 Prozent – das Ergebnis stürzte die Partei in Depression und Lethargie. Viele deuteten das Ergebnis als späte Rache für die Agenda 2010 unter Kanzler Schröder. Die Sozialdemokraten standen vor einem Scherbenhaufen. Der damals neue Vorsitzende Sigmar Gabriel verordnete Einkehr, Besinnung, Neuaufstellung. „Wir haben Fehler gemacht“, räumte er ein und gab die neue Richtung vor: kleine Brötchen backen, die SPD langsam wieder als Partei der sozialen Gerechtigkeit verorten.

Ende 2011, Parteitag in Berlin: Die Genossen sind wie ausgewechselt. Die Welt ist eine andere. Es wird ein Parteitag mit viel Prominenz. Die Botschaft: Seht her, mit uns ist wieder zu rechnen. Die Eröffnungsrede hält Altkanzler Helmut Schmidt. Staatsmännisch, mit viel Pathos schwört er die Sozialdemokraten auf einen leidenschaftlichen Einsatz für Europa ein. Der französische Sozialist François Hollande ruft zum Schulterschluss der Sozialisten in der Euro-Krise auf. Auch die Troika-Männer werden mit ihren Reden prominent platziert. Die SPD erfindet sich neu – als Europa-Partei. So etwas wie Aufbruchstimmung liegt in der Luft – endlich wieder, sagen viele Genossen, die die offene K-Frage damals noch amüsiert zur Kenntnis nehmen.

Doch der große Angriff auf Kanzlerin Angela Merkel, die mit einer zerstrittenen Koalition und täglich wechselnden europäischen Großwetterlagen zu kämpfen hat und also genügend Angriffsflächen bietet – er läuft zaghaft ins Leere oder bleibt gleich ganz aus. „Attacken gegen Angela Merkel kommen zurzeit nicht gut an“, sagt ein führender Genosse im Frühjahr 2012. Es gelingt der SPD kaum, aus dem teils desaströsen Erscheinungsbild der schwarz-gelben Koalition Kapital zu schlagen.

Die ungelöste K-Frage

Inzwischen aber setzen die Krise und die offene K-Frage den Genossen zu. In der Europa-Politik fällt es der SPD schwer, einen eigenen Kurs zu finden und sich als bessere Alternative zu empfehlen. Erst vor wenigen Wochen, gestärkt auch durch einen sozialistischen Präsidenten in Frankreich, haben die Genossen Angela Merkel die Finanztransaktionsteuer und das Wachstumspaket für ein Ja zum dauerhaften Rettungsschirm ESM und zum Fiskalpakt abgerungen. Die Halbwertzeit solcher Erfolge dürfte angesichts des rasanten Takts des Euro-Krisenmanagements aber kurz sein.

Mit anderen Themen durchzudringen und sich Profil zu verschaffen, ist zurzeit allerdings so gut wie unmöglich. Das gelingt der SPD aber auch deshalb schlecht, weil sie Angela Merkel niemanden entgegenstellt, hinter dem sich die Truppen sammeln können und der der SPD-Politik ein einziges Gesicht geben kann. Gabriel, dem als Parteichef das Vorschlagsrecht für den Kanzlerkandidaten obliegt, sollte dieses Thema unbedingt bald klären.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann