Berlin

Experte: Spaltung ist nicht überwunden

Der Göttinger Parteienforscher Peter Lösche sieht mit der neuen Führung der Linken noch keine neue Einigkeit hergestellt. Das Interview:

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Wo steht die Linkspartei ein Jahr vor der Bundestagswahl?

Im politischen Spektrum scheint sie links zu stehen. Aber man muss die Partei differenziert betrachten: In den neuen Bundesländern ist sie richtig verwurzelt, dort kann sie koalitions- und staatstragend sein. Im alten Bundesgebiet ist sie dagegen weiterhin eine sehr heterogene Gruppe, die noch nicht auf einen gemeinsamen Nenner gekommen ist.

Wie viel Prozent würden Sie der Linken in einer Bundestagswahl denn zutrauen?

Das kommt auf die wirtschaftliche Situation an. Negative Entwicklungen würden der Linkspartei helfen. Ich traue ihr nur 6 oder 7 Prozent zu, denn sie hat die Piraten als neue Konkurrenz.

Die Linksfraktion ist die einzige, die geschlossen gegen Euro-Rettungsmaßnahmen stimmt. Warum kann sie damit nicht punkten?

Die Schuldenkrise macht sich noch nicht im Portemonnaie der Wähler bemerkbar. Wenn sich das ändern sollte, könnte die Linkspartei durchaus mehr Zulauf bekommen. Was sich zurzeit in der Krise abspielt, ist aber so kompliziert, dass Otto Normalverbraucher gar nicht weiß, worum es eigentlich geht. Deshalb profitiert auch die Linkspartei nicht.

Kann sie mit der neuen Führung die Spaltung überwinden?

Das sehe ich noch nicht, denn es handelt sich um ein Strukturproblem und nicht um eines, das Personen mit ein paar Interviews und ein paar Treffen lösen können. Die West-Linke hat ausgesprochen sektiererische Züge in einigen Landesverbänden, obwohl bereits so etwas wie eine Duldung der Minderheitsregierung in NRW möglich war. Die alte PDS-Ostpartei ist dagegen ausgesprochen staatstragend. Diesen Widerspruch können zwei Personen nicht so einfach überwinden. Das braucht Zeit.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr einer erneuten Spaltung ein?

Als sehr gering. Wenn die Spaltung kommt, wären beide Parteien raus aus allen Parlamenten. Und das wollen natürlich alle Linken vermeiden.

Welche Koalitionsoptionen hätte die Linke?

Auf der Landesebene haben wir ja schon rot-rote Koalitionen. In den West-Landesverbänden gibt es unter den Führungspersönlichkeiten durchaus eine Tendenz, Rot-Grün zu dulden oder mit in eine Regierung zu gehen. Die berühmt-berüchtigte Parteibasis ist aber so durchmischt, dass es kräftigen Widerspruch gäbe. Die Bemerkung des Vorstands, dass man unter bestimmten Bedingungen mit der SPD zusammengehen könnte, ist natürlich ein Versuch, Signale für eine Annäherung an die SPD zu senden.

Gelingt das, solange Oskar Lafontaine bei der Linken mitmischt?

Lafontaine wird irrational von Vorurteilen gegen seine alte Partei, die SPD, geleitet. Mit ihm ist da nichts zu machen. Man müsste warten bis er sich zurückgezogen hat.

Für welche Wähler ist die Linkspartei interessant?

Im Osten zieht sie durchaus noch ihre Kraft aus den alten Massenorganisationen der DDR wie Volkssolidarität, Demokratischer Frauenbund oder Demokratischer Kulturbund. Sie wird aber nicht nur aus Ostalgie gewählt, sondern weil viele Menschen sich nicht gerecht behandelt fühlen im neuen System. Im Westen wird sie sowohl von kommunistischen Altkadern gewählt, von Trotzkisten, Attac-Mitgliedern, Kirchenleuten, Akademikern, Gewerkschaftern, Arbeitslosen. Was die Partei am meisten zusammenhielt, war ihr Auftreten als Protestpartei. Auf diesem Feld gibt es nun aber Konkurrenz.

Das Gespräch führte Rena Lehmann