Berlin

Der Emotionale

Der 52-jährige Parteivorsitzende Sigmar Gabriel galt einst als „enfant terrible“ der SPD. Eine erfolgreiche Kandidatur gegen Angela Merkel trauen ihm deshalb noch immer viele nicht zu. Er selbst sich allerdings schon, wie bei seiner Rede beim Parteitag deutlich wurde – er zeigte sich staatstragender als sonst.

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Berlin – Der 52-jährige Parteivorsitzende Sigmar Gabriel galt einst als „enfant terrible“ der SPD. Eine erfolgreiche Kandidatur gegen Angela Merkel trauen ihm deshalb noch immer viele nicht zu. Er selbst sich allerdings schon, wie bei seiner Rede beim Parteitag deutlich wurde – er zeigte sich staatstragender als sonst.

Auftritt: Der brillante Rhetoriker Gabriel hatte den Saal schnell für sich eingenommen. Mit rasch aufeinander folgenden Sätzen im Stakkato fesselte er die Delegierten. Das demonstrierte Stärke und Selbstvertrauen. Später allerdings schlug er auch nachdenklichere Töne an. Etwa wenn er von Europa als Schutzgemeinschaft der Menschen sprach und die SPD zur Schutzmacht Europas und der Menschen erklärte. Er konnte anfeuern, aber auch rühren. Die Bundesregierung kritisierte er, ohne ausfallend zu werden. Er war ein bisschen weniger Polterer, dafür ein bisschen mehr Staatsmann. Mit eineinhalb Stunden geriet seine Rede deutlich kürzer als noch beim Parteitag vor zwei Jahren, nach hinten heraus hatte sie auch mal Längen. Anschließend stand Gabriel noch lange in der Mitte der Bühne, faltete die Hände dankbar in Richtung Publikum – und wirkte dabei so selbstbewusst wie nie: Für die SPD, aber auch für ihn ist 2013 alles möglich.

Thema: Der Parteichef entschied sich für den großen Rundumschlag. Er streichelte die Seele der Partei mit dem Verweis darauf, dass ihr vor zwei Jahren zu Unrecht noch Zerfall und Niedergang prophezeit worden seien („Nichts davon ist eingetreten!“). Er schwor die Genossen auf einen „Kampf um die Deutungshoheit“ in der Euro-Krise ein, er erklärte die SPD zum „Bändiger des Kapitalismus“ und zum Hüter des wahren Liberalismus. Er umarmte alle Flügel der Partei, indem er Fehler der Vergangenheit rügte. „Nie wieder darf die Sozialdemokratie den Wert der Arbeit infrage stellen.“

Reaktion: Viel Zwischenapplaus, am Ende erhoben sich die Delegierten und klatschten minutenlang Beifall. Sigmar Gabriel hatte mit seiner Rede die gesamte Partei umarmt, Aufbruchstimmung verbreitet und mit Themenwahl und Ton unterstrichen, dass eine Kanzlerkandidatur durchaus in seine Biografie passen könnte. Auch unter den Delegierten hatte er viele, die ihm das bisher nicht zugetraut haben, für sich eingenommen. Nach Helmut Schmidt war seiner sicher der zweitstärkste Auftritt.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann