Berlin

1935 gab es erste Internierungslager – Völkermord mit System

Bis in die jüngste Vergangenheit hinein galt die systematische Deportation und Tötung Zehntausender sogenannter Zigeuner als der zweite vergessene Völkermord der Nazis. Im Schatten des Holocausts an den Juden Europas warteten die Sinti und Roma auch in der Nachkriegszeit jahrzehntelang auf Anerkennung des erlittenen Leides.

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Erst 1982 bezeichnete Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) diese Verbrechen als Völkermord. 15 Jahre später ging Bundespräsident Roman Herzog noch einen Schritt weiter und erklärte, dass dieser aus denselben rassischen Motiven begangen wurde wie der Genozid an den Juden.

Für Sinti und Roma wie für Juden begann die Ausgrenzung schon bald nach der Machtübernahme der Nazis Anfang 1933. Sie wurden aus Berufsorganisationen wie der Handwerkskammer oder der Reichskulturkammer genauso ausgeschlossen wie später aus der Wehrmacht. Auf die rund 30 000 in Deutschland lebenden Sinti und Roma wendete das NS-Regime auch die Bestimmungen der Nürnberger Rassengesetze von 1935 an. So war auch ihnen die Eheschließung mit Ariern unter schwerer Strafe verboten. Später stuften die NS-Behörden sie ebenfalls nach rassischer Abstammung in „Vollzigeuner“, „Halbzigeuner“, „Viertelzigeuner“ oder gar „Achtelzigeuner“ ein.

Sinti und Roma war meist der rettende Weg ins Ausland versperrt

Es gibt aber auch Unterschiede zu den Juden: Schon allein aus finanziellen Gründen war den meisten Sinti und Roma von vornherein der rettende Weg ins Ausland versperrt. Gegen sie ging auch nicht die verbrecherische Organisation Gestapo vor, sondern die Kriminalpolizei, die sich etwa bei der Umsetzung zweier Erlasse „zur Bekämpfung der Zigeunerplage“ auf Behördenvorschriften der Weimarer Republik stützen konnte.

Parole zur Olympiade 1936: „Berlin ohne Zigeuner“

Schon 1935 waren für Sinti und Roma die ersten kommunalen Internierungslager eingerichtet worden. Die Stadt Köln bildete hier den unrühmlichen Vorreiter, schnell folgten Berlin, Frankfurt, Magdeburg, Düsseldorf, Essen, Kassel und Wiesbaden. In der Reichshauptstadt wurden kurz vor dem Start der Olympischen Spiele 1936 unter der Parole „Berlin ohne Zigeuner“ 600 Angehörige der Volksgruppe verhaftet und im Stadtteil Marzahn inhaftiert.

Bereits ein Jahr später erhielt die Kripo mit dem sogenannten Asozialenerlass das Recht, „Zigeuner“ einem KZ zu überstellen. 1938 wurden im Rahmen der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ 10 000 Menschen in KZ verschleppt. Unmittelbar nach dem Überfall auf Polen, mit dem das NS-Regime 1939 den Zweiten Weltkrieg in Gang setzte, strebte es die Massendeportation in das besetzte Land an, das als künftiges „Siedlungsgebiet“ für Juden, Sinti und Roma auserkoren war.

Opferzahlen schwanken zwischen 100.000 und 500.000

Etwa ein Jahr nach Beginn der systematischen Judendeportationen ordnete Reichsführer-SS Heinrich Himmler am 16. Dezember 1942 an, 23 000 „Zigeuner“ aus Europa nach Auschwitz zu bringen. Innerhalb weniger Monate starben die meisten an Hunger, Seuchen oder durch Gewalt und Menschenversuche der SS. Nach Schätzungen von Historikern fielen dem zweiten nationalsozialistischen Völkermord insgesamt mehr als 100 000 Menschen zum Opfer. Der Zentralrat der Sinti und Roma nennt allerdings eine fünfmal höhere Zahl.