Marie, das Blumenkind

Foto: Illustration: Carola Bergmann

Es war einmal ein kleines Mädchen, es hieß Marie. Es lebte in einem verzauberten Hunsrückdorf vergnügt und glücklich. Marie hatte eine besondere Gabe, sie konnte mit Tieren und Blumen sprechen. Sie liebte den Sommer so sehr, dass sie an jedem Nachmittag, wenn die Sonne schien, hinausspazierte auf grüne Wiesen und überall dorthin, wo Vögel munter zwitscherten.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

An den Vormittagen musste sie zur Schule, aber in den Ferien, da hatte sie ganz viel Zeit, um draußen mit den Vögeln zu sprechen und all die schönen bunten Blumen zu liebkosen. Ja, ja, man glaubt es kaum, Marie war ein so liebes und gutmütiges Kind, sie konnte keiner Fliege was zuleide tun. Alle Tiere liebten sie.

Wenn Marie am Nachmittag die bunten Blumenwiesen durchstreifte, sammelten sich viele Vögel um sie herum. Rotkehlchen und Lerchen, Grünlinge und Sperlinge. Sperlinge, das sind Spatzen, die mochte sonst niemand leiden. Aber die kleine Marie hatte sie genauso lieb wie alle anderen Vögel.

Marie wohnte am Dorfrand, sie kannte die schönsten Wiesen mit den prächtigsten Blumen. Von ihrer Mutter hatte sie gelernt, mit Löwenzahnblumen einen Blumenkranz zu flechten, den sie dann als Krone auf ihrem Kopf trug. Sie war dann die Königin des Feldes, und die Blumen verneigten sich vor ihr. Marie lächelte ihnen zu und sagte: „Ihr schönen Blumen, ihr seid mir das Liebste auf der Welt“, und sie schaute zum Himmel und rief: „Ihr lieben Vögel, mein größter Wunsch ist es, mit euch zu fliegen, über Wiesen und Felder, in andere Länder, überall dorthin wo die Sonne scheint.“ Die Vögel zwitscherten: „Liebe Marie, du bist unsere beste Freundin, wir nehmen dich überallhin mit.“

„Ach“, seufzte Marie in ihren Schoß hinein und streichelte dabei ein Gänseblümchen. Eine kleine Träne kullerte über ihre Wange und tropfte auf einen Regenwurm, der gerade seinen Kopf in einen Maulwurfhügel bohrte, um sich vor der Sonne zu verstecken. Er schaute noch mal hervor und staunte: „Wo kommt denn diese angenehme Frische her? Wie kann das sein, die Sonne scheint doch?“ Marie antwortete: „Ich bin das, ich bin traurig, weil ich nicht fliegen kann.“ „Bist du die kleine Marie, von der ich schon so viel gehört habe?“ „Ja, wieso?“ „Ach, nur so, der Maulwurf hat mir schon von deinem Wunsch erzählt.“

Dann steckte der Regenwurm ganz schnell seinen Kopf in den Maulwurfshügel und verschwand. Nach einer Weile versammelten sich ungewöhnlich viele Tiere um Marie herum. Hasen und Rehe, Käfer und Heuschrecken, Mäuse und Maulwürfe, sogar Regenwürmer bohrten sich zahlreich aus der Erde, trotz Sonne. „Merkwürdig“, dachte Marie. Ungewöhnlich viele Gänseblümchen und Buschwindröschen, Veilchen und Löwenzahnblumen sprossen plötzlich aus der Erde. Die Wiese wurde bunter und fröhlicher, die Blumen kicherten und winkten Marie zu. Die Tiere hüpften immer näher, und ein Wind kam auf, der Maries Kleidchen fasste und sie dabei etwas vom Boden abhob.

Die Tiere und Blumen bauschten ihre Wangen auf, fingen an zu pusten so fest sie konnten. Marie stellte sich auf. Sie schlug mit ihren Armen, als seien es Flügel, es ging alles automatisch. Sie hob immer mehr vom Boden ab, immer höher schwebte sie in die Lüfte. Viele Vögel versammelten sich flatternd um sie herum. „Komm Marie, wir begleiten dich, wir lassen dich nicht allein.“ Marie schlug mit ihren Armen, so fest sie konnte. „Ich fliege, ja, juhu, ich fliege!“ Sie kreiste über alle Blumen und Tiere hinweg und steuerte zum Wald hin. „Tschüss, ihr lieben Freunde, ich komme bald wieder.“

Je mehr sie sich entfernte, desto schwächer wurde der Wind. Marie verlor an Höhe. Kurz vor dem Wald berührten ihre Füßchen wieder die Erde. „Ach, wie schade“, rief sie den Vögeln zu. „Ja, ja“, antwortete das Rotkehlchen, „den Blumen und Tieren geht die Puste aus, sie sind müde vom kräftigen Blasen. Aber sieh es doch mal so, Marie, dein Wunsch vom Fliegen ist in Erfüllung gegangen, wenn auch nur über eine kurze Strecke.“ „Ja“, strahlte Marie ganz überglücklich, „ich weiß gar nicht, wie ich das meinen lieben Freunden jemals danken kann. “Ich weiß es schon„, sagte das Rotkehlchen. “Bleib immer so, wie du jetzt bist, eine Freundin der Tiere und Blumen."

Edith M. Barden aus Dommershausen hat die 
Geschichte für Kinder ab 3 Jahren geschrieben.