Ahrtal

Polizeivideos zur Flutnacht: Was auf den Bändern zu sehen ist, hat diese Familie miterlebt

Von Ira Schaible
Bernd Gasper steht in Altenburg an der Stelle, wo er die Flutkatastrophe vom Juli 2021 gemeinsam mit seiner Frau nur knapp überlebt hat. Auch sein Bruder Gerd und dessen Ehefrau Elfriede wurden gerettet, allerdings erst am folgenden Nachmittag. Allen ist jedoch früh klar: Wir wollen zurück in unsere Heimat. Doch der Wiederaufbau zieht sich.
Bernd Gasper steht in Altenburg an der Stelle, wo er die Flutkatastrophe vom Juli 2021 gemeinsam mit seiner Frau nur knapp überlebt hat. Auch sein Bruder Gerd und dessen Ehefrau Elfriede wurden gerettet, allerdings erst am folgenden Nachmittag. Allen ist jedoch früh klar: Wir wollen zurück in unsere Heimat. Doch der Wiederaufbau zieht sich. Foto: dpa

Im Untersuchungsausschuss aufgetauchte, aus Polizeihubschraubern gefilmte Videos von der Ahrflut setzen Innenminister Lewentz unter Druck. Die darauf festgehaltenen bedrückenden Szenen haben die Gaspers durchgestanden – in Todesangst.

Lesezeit: 5 Minuten
Anzeige

Bernd Gasper und seine Frau Brigitte haben vom 14. auf den 15. Juli 2021 auf ihrem Hausdach im Ahrort Altenburg viele Stunden um ihr Leben gebangt. Bernds Bruder Gerd und seine Frau Elfriede retteten sich wenige Meter weiter in ihrem Haus auf den Speicher. „Das Wasser ist drei Stufen vor dem Speicher stehen geblieben“, sagt der 81-Jährige und erzählt von Nachbarn nebenan und gegenüber, die auf den Dächern den Polizeihubschrauber mit Taschenlampen auf sich aufmerksam machen wollten. Einer Nachbarin, die es nur mit dem Kopf durch das enge Dachfenster schaffte, habe das Wasser die ganze Zeit bis zum Hals gestanden.

Warten auf Rettung

Doch die Rettung blieb zunächst aus. Der Pilot von „Rheinland Pfalz I“ hatte in der Nacht entschieden, den Flug einzustellen, weil er den Menschen keine Hoffnungen auf Rettung machen wollte, hatte ein Beamter aus dem Lagezentrum des Innenministeriums im Untersuchungsausschuss des Landtags ausgesagt. Eine Seilwinde hatte der Helikopter nicht.

„Wir standen oben auf dem Dach und haben gerufen“, hatte der Neffe der Gasper-Brüder, Rolf, rund zwei Wochen nach der entsetzlichen Nacht berichtet. „Es kam keine Rettung.“ Wegen der Wetterverhältnisse seien die ersten Hubschrauber mit Seilwinde erst am Donnerstagmittag (15. Juli) gekommen. „Erst als die Hubschrauber kamen, wurde mir klar, dass wir jetzt evakuiert werden“, beschrieb er seine Verzweiflung. Gerd Gasper gelang es, mit einem bunten Fastnachtsschal durch das Speicherfenster einen Piloten auf sich und seine Frau aufmerksam zu machen.

„Um 22.15, 22.30 Uhr war hier schon alles voller Wasser“, sagt Bernd Gasper über die Zeit, als die Hubschraubervideos entstanden. „Die Leute sind geflohen oder ertrunken“, sagt der 69-Jährige. Aber die Zeit hätte noch gereicht, um Menschen in Bad Neuenahr, vor allem aber in Sinzig zu retten, sagt Gasper. In Bad Neuenahr kam die Flutwelle gegen 23 Uhr an, in Sinzig erst gegen 2 Uhr. Gaspers Schwiegermutter starb wie 133 andere Menschen in der Ahrflut, zwei weitere gelten noch immer als vermisst.

Bernd Gasper Bruder Gerd und dessen Ehefrau Elfriede.
Bernd Gasper Bruder Gerd und dessen Ehefrau Elfriede.
Foto: dpa

Die schlimmste Nacht ihres Lebens macht den Gaspers, ihren Familien und Nachbarn auch eineinviertel Jahre später noch schwer zu schaffen. „Die Flut hat den Alterungsprozess beschleunigt“, sagt Bernd Gasper und berichtet von Bekannten, die jetzt, da der Stress allmählich nachlasse, krank geworden seien. „Man hört von so vielen, die jetzt in Behandlung sind, wo man das gar nicht gedacht hätte“, ergänzt sein älterer Bruder Gerd. Dennoch wollen die 69 und 81 Jahre alten Männer und ihre Frauen nach Altenahr zurückkehren, wo sie seit Generationen verwurzelt sind.

„Wir wollen zurück, wir sind schon mehr als 50 Jahre hier“, hatte Elfriede Gasper schon bald nach der furchtbaren Nacht gesagt. „Wenn alles so läuft, wie wir zwei uns das vorstellen, sind wir Ende Oktober wieder in unserem Haus“, sagt ihr Mann Gerd freudestrahlend. Anfangs habe er noch gedacht: „In diesen Dreckhaufen ziehe ich nicht mehr ein.“

Das Ehepaar hatte seit Jahrzehnten eine Elementarschadenversicherung und konnte mit deren Hilfe das schwer beschädigte Haus zunächst komplett entkernen und dann sanieren lassen. Inzwischen ist schon tapeziert, Fliesen und Laminat sind verlegt, und die Küche ist angekündigt.

Erst am Nachmittag des 15. Juli war das Ehepaar mit Hubschraubern gerettet worden. „Ich wollte ja nicht“, sagte die 75-Jährige. Ihr Mann habe ihr aber durch den kniehohen Schlamm zu dem Hubschrauber mit Winde geholfen, der sie aus der Luft in Sicherheit brachte. Unter den körperlichen Folgen dieser Rettungsaktion leidet sie noch bis heute. Später habe ein Hubschrauber auf einer abgerissenen Asphaltplatte neben dem Haus landen können – so entkam Gerd Gasper zusammen mit zwei Nachbarn den schlammigen und stinkenden Wassermassen.

Jeden Tag auf der Baustelle

Seither fährt Gerd Gasper nahezu jeden Tag die 20 Kilometer von seinem Übergangsquartier zu seinem Haus und kümmert sich darum, dass es voran geht. „Irgendwas fehlt immer“, sagt er und macht sich auf den Weg zum Baumarkt, um eine Fußbodenleiste zu besorgen. „Es kommen noch mehr zurück, der ein oder andere wohnt auch schon wieder hier.“ Das freut ihn, er weiß aber auch: „Es dauert Jahre, bis das mal wieder alles ein bisschen ordentlich aussieht.“

In der idyllisch gelegenen Ortsgemeinde Altenahr hätten nur einige wenige Gastronomen und Hoteliers bislang wieder aufgemacht, manche wollten wieder öffnen, viele gäben aber auch auf, sagt Gerd Gasper. Auch in der Ortsgemeinde Mayschoß an der Ahr, wo sein Sohn lebt, sei fast die gesamte Gastronomie verschwunden. „So hart es ist, es ist die Realität“, sagt der 81-Jährige. Und zeigt sich trotzdem mit Blick auf seine baldige Rückkehr in sein Haus überzeugt: „Es ist eine andere Freude, wenn man es geschafft hat.“ Seine Frau ergänzt: „Man lebt dann wieder in der Heimat.“

Bernd Gasper und seine Frau Brigitte sind noch lange nicht so weit. Ihr Haus, in dem die beiden Brüder zur Welt gekommen sind, stand näher an der Ahr und musste abgerissen werden. Auf dem Grundstück mit den Hochwasserschutzauflagen wieder aufzubauen, kommt für das Paar nach den traumatischen Erlebnissen und aus Altersgründen nicht mehr infrage. Aber sie suchen eine Alternative – und können dabei auf finanzielle Unterstützung aus dem Wiederaufbaufonds hoffen.

„Solche Ersatzvorhaben setzen sich von der Bearbeitung der Anträge auf Aufbauhilfe bei Gebäudeschäden ab, die Sachverhalte sind aufwendig in der Bearbeitung, da jeder Fall einzeln gelagert ist“, erläutert die Sprecherin der zuständigen Investitions- und Strukturbank ISB, Claudia Wichmann, warum das alles dauert. „Es handelt sich hierbei nicht um ein etabliertes Verfahren.“

Das Haus von Bernds Sohn Achim steht dagegen „noch so, wie das Wasser rausgelaufen ist“, wie Gerd Gasper sagt. Wegen eines Rechtsstreits mit der Versicherung geht noch immer gar nichts voran. „Da, wo nichts passiert, ist meist eine Versicherung dahinter“, sagt Bernd Gasper.

Noch immer müssen Häuser weichen

Und noch immer werden im Ahrtal von der Flut beschädigte Häuser abgerissen. „Der ein oder andere will aber auch vor dem Winter wieder einziehen“, erzählt Bernd Gasper. „Die Lebensqualität ist aber noch nicht besonders, es ist ja auch alles im Bau.“ Viele Orte sind nachts noch immer stockdunkel. In Altenburg gebe es noch immer Flutlicht statt Straßenbeleuchtung, und die Gehwege sind noch nicht wieder in Ordnung. Trotzdem: „Es geht doch insgesamt voran.“

Wolfgang Ewerts und Sabine Scherer-Ewerts bauen ihr Hotel mit dem Biergarten an der Ahr im nahen Insul auch wieder auf. „Hier ist es schon wieder so schön, dass auch Menschen aus Altenahr in den Biergarten kommen und gar nicht mehr weg wollen“, sagt Scherer-Ewerts. Ganz fertig ist aber noch nicht alles, die Ewerts haben vier barrierefreie Zimmer angebaut. Dazu kommen immer wieder herbe Rückschläge: Gerade haben sie Probleme mit der Heizung. „Das ist der vierte Wasserschaden seit der Flut“, sagt Scherer-Ewerts. „Die Handwerker haben auch so viel zu tun. Wo sie früher zehn Baustellen hatten, haben sie jetzt 30, und jeder will zuerst fertig werden.“

Warum sie nach der Katastrophe nicht weggegangen seien, werde sie immer wieder gefragt. „Wo sollen wir denn hin? Das ist hier doch unsere Heimat.“ Trotzdem zeigt sie sich überzeugt: „Wir hätten das Ausmaß der Flut nicht erkennen können.“ Und: „Wir wären auch nicht gegangen, wenn man uns gewarnt hätte.“

Nach den finanziellen Ausfällen wegen Corona und der Flutkatastrophe haben die Ewerts jetzt auch mit dem Personalmangel in der Gastronomie zu kämpfen. Dazu kommt: „Viele Leute müssen jetzt sparen und gehen nicht mehr essen“, sagt Scherer-Ewerts. „Wir haben trotzdem noch viel Glück.“