Wie Eltern Kinder das Siegen lehren
Von unserer Redakteurin Rena Lehmann
Bisweilen hat man bei der Lektüre tiefes Mitleid mit Sophia und Lulu, den beiden Kindern und „Versuchspersonen“ ihres chinesischen Erziehungsmodells. Die Mutter gibt den Rhythmus ihrer dicht gefüllten Arbeitstage vor, von klein auf. Sie entscheidet, dass die Ältere Klavier spielen lernt und die Jüngere eine Virtuosin auf der Geige wird. Üben heißt bei ihr nicht 20 Minuten unkonzentriert Klimpern, sondern täglich drei Stunden hartes Ringen um Perfektion, wenn nötig auch länger. Für den Besuch bei einer Freundin, sich treiben zu lassen, die Zeit vergessen, wie Kinder es beim Spielen gern tun, ist im Stundenplan der Tigermutter keine Minute vorgesehen. Zeit, die nicht zur zielführenden Weiterentwicklung der Fähigkeiten genutzt wird, ist für Amy Chua verlorene Zeit.
Erfolg macht glücklich, so das Credo der Mutter, und ihre Erfahrungen geben ihr zumeist, nicht immer, recht. Nach einem gelungenen Konzert oder der Aufnahme in der Elite-Pianistenschmiede jedenfalls strahlen ihre Mädchen vor Glück – und wollen weitermachen, noch besser werden, in noch größeren Konzerthallen auftreten.
Auch als ihre jüngere Tochter ihr zum Geburtstag eine lieblos hingekrakelte Karte überreicht, kennt Amy Chua keine Gnade. Sie gibt ihr das Geschenk zurück mit der Ansage: „Du kannst das besser.“ Brutale Schikane würde man das hierzulande wohl nennen, für die Tigermutter jedoch ist es ein Liebesbeweis. Sich mit einer schlechten Leistung seines Kindes zufriedenzugeben, bedeutet nach ihrer Philosophie, seinem Kind einfach nicht mehr zuzutrauen als eine dürftige oder bestenfalls mittelmäßige Leistung – es somit gering zu schätzen.
Amy Chua ist keine, die sich im Glanz ihrer Kinder sonnt und aus Selbstsucht agiert, sie also zu Dingen zwingt, die ihr selbst nicht gelangen. Sie hat sich nicht geschont. Ihre straffe Haltung ist wohl nur aus ihrer Familiengeschichte heraus zu verstehen.
Ihre Eltern kamen mit nichts im Gepäck nach Amerika, mussten für ein Leben in Wohlstand hart arbeiten, sparen – und diszipliniert sein. Amy Chua wurde in diese Haltung hineingeboren, konnte jedoch bereits von Anfang an auf die finanzielle und ideelle Unterstützung ihrer Eltern zählen. Es ist auch die Angst davor, ihre Töchter könnte mit den Annehmlichkeiten des gehobenen Bürgertums, in das wiederum hineingeboren wurden, der Ehrgeiz verlassen, die sie zur äußersten Strenge verpflichtet. Sie will „kein verzärteltes, Ansprüche stellendes Kind aufziehen“ – und dafür kämpft sie mit allem notwendigen Einsatz, der sie viel Zeit kostet. Ihr chinesisches Modell stößt allerdings an seine Grenzen, als die jüngere Tochter vehement aufbegehrt und die Geige nicht mehr anrührt. Die Kämpfe mit der Mutter haben sie nicht gebrochen, sondern sie im Gegenteil zu einer starken Persönlichkeit mit einem eigenen Kopf gemacht – im Grunde ganz nach dem westlichen Idealbild. Amy Chua kann das akzeptieren. Sie ist keine Monstermutter.