Washington/Moskau

Weltsicherheitsrat: Das (Un-)Gleichgewicht der Großmächte

Vier der fünf Vetomächte des Weltsicherheitsrates haben in diesem Jahr neu über ihre Führung entschieden. Die USA verstehen sich immer mehr als pazifische Macht – Russland will bis 2015 die Eurasische Union gründen.

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In Moskau kehrte Wladimir Putin als starker Mann Russlands in den Kreml zurück, in den USA startet Präsident Barack Obama in eine zweite Amtszeit. China vollzog einen einschneidenden Generationswechsel, Frankreich erlebte sogar einen Machtwechsel. Frankreich und die fünfte Vetomacht Großbritannien sind eingebunden in die europäische Außenpolitik – doch die steckt noch in den Kinderschuhen und ist weitgehend zahnlos. Jetzt muss sich das Konzert der Großen neu abstimmen. Außenpolitisch blicken sowohl die USA als auch Russland verstärkt in den pazifischen Raum.

In aller Stille hat US-Präsident Barack Obama in den vergangenen vier Jahren einen bemerkenswerten außenpolitischen Wandel vollzogen. Obama nennt das „leading from behind“. Zu Deutsch etwa: vom Rücksitz aus lenken. Beim Friedensprozess in Nahost hat Washington die Erwartungen der Welt bisher allerdings enttäuscht. Erst mit dem Gaza-Konflikt wurden die USA wieder aktiv – und konnten mit ihrem Einfluss auf Israel und das selbstbewusster gewordene Ägypten punkten. Wenig Einfluss hat Washington aber auf den Arabischen Frühling und das Massaker in Syrien. Auch bei der Euro-Krise stehen die USA außen vor – niemand will ihren Rat.

Obama zeigt Präsenz

Zudem verstehen sich die USA immer mehr als pazifische Macht. Kaum ein Zufall, dass die erste Reise Obamas nach seiner Wiederwahl nach Asien ging: nach Birma, Thailand und Kambodscha. Die drei kleineren Länder liegen im Machtbereich Chinas, dessen militärische Aufrüstung Washington Kopfzerbrechen bereitet. Die Botschaft geht an die Adresse Pekings: Achtung, die USA sind präsent! Die USA würden China gern als echten Partner gewinnen – allein wegen der enormen Handelschancen. Doch es gibt erhebliche Hindernisse: Da sind der US-Vorwurf chinesischer Handelsschranken und Wechselkursmanipulationen sowie die Sorge wegen chinesischer Militäraufrüstung und Territorialansprüche im Südchinesischen Meer.

Auch die Beziehungen zu Russland – ebenfalls eine Pazifikmacht – sind nicht die besten. Vor vier Jahren war es das Ziel, den „Reset“-Knopf zu drücken. Im Klartext: die Beziehungen zu Moskau neu zu beginnen. Doch bis auf einen Vertrag zum Abbau von Atomwaffen 2010 hat sich nicht viel bewegt. Schweren Ärger bereitet es in Washington, dass Moskau nach wie vor das Regime in Damaskus stützt.

Die Krux: Die USA brauchen China und Russland im Atomkonflikt mit dem Iran. Das erklärte US-Ziel ist es, einen Waffengang Israels gegen die iranischen Atombunker zu vermeiden und Teheran stattdessen durch Sanktionen zum Einlenken zu bewegen. Doch dazu benötigt Washington die Zustimmung Moskaus und Pekings im UN-Sicherheitsrat.

Vor zwei Jahren überraschte Wladimir Putin auf der Münchener Sicherheitskonferenz den Westen mit einer Charmeoffensive. Mit Nachdruck warb Russlands starker Mann für eine Freihandelszone und für Allianzen im Energiesektor. EU und USA reagierten euphorisch. Dann kam die kalte Dusche. Beim Treffen des Wirtschaftsforums Apec in Wladiwostok kündigte Putin eine größere Rolle Russlands im boomenden asiatisch-pazifischen Raum an. Und Vize-Ministerpräsident Igor Schuwalow legte nach: „Die Apec kann in spätestens zehn Jahren die EU als Russlands größten Handelspartner ablösen.“

Als Wiege einer neuen Weltordnung sieht Moskau nicht den Nahen Osten, sondern den asiatisch-pazifischen Raum. Dort will Russland neben China und den USA ganz vorn mitspielen. Dabei soll es nicht bleiben: Moskau als Zentrum des früheren Sowjet-Imperiums strebt auch nach einem neuen Staatenbund – bis 2015 soll östlich der EU die Eurasische Union stehen.

Putin signalisiert Kooperation

Wendet sich Russland also nach Osten? Nikita Maslennikow vom Moskauer Institut für moderne Entwicklung rechnet nicht damit. Zwar eröffne das Wirtschaftswachstum in Ostasien neue Perspektiven. „Aber ohne Modernisierung des Landes schaffen wir weder den Durchbruch nach Osten, noch können wir unsere Position in Europa halten“, meint er. Ähnlich sieht es Alexej Malaschenko vom Moskauer Carnegie-Zentrum. „Russlands Beziehungen zum Westen unterliegen traditionell starken Schwankungen“, sagt Malaschenko. Der Kreml sei verärgert über ein EU-Kartellverfahren gegen Gazprom und streite mit dem Westen über Syrien und den Iran. „Putin weiß aber sehr genau, dass Russland im politischen Tagesgeschäft auf den Westen angewiesen ist.“ Tatsächlich bot Putin jüngst wieder mehr Zusammenarbeit an. Nach der Wiederwahl Barack Obamas lud er den US-Präsidenten nach Moskau ein. „Wir müssen die bilateralen Beziehungen in allen Bereichen voranbringen“, sagt Putins Sprecher Dmitri Peskow.

Von Peer Meinert und Wolfgang Jung