Teheran

Präsident: Iran und die Wahl der Qual

Das Kopftuch ist etwas weit nach hinten gerutscht, Sonnenbrille, Schmuck und Handy: eine offensichtlich liberale junge Iranerin geht am Wahlplakat des Favoriten Ali-Akbar Welajati vorüber.
Das Kopftuch ist etwas weit nach hinten gerutscht, Sonnenbrille, Schmuck und Handy: eine offensichtlich liberale junge Iranerin geht am Wahlplakat des Favoriten Ali-Akbar Welajati vorüber. Foto: DPA

Es ist gerade vier Jahre her, da schien das Land genug von seinem Regime zu haben. Mit einem kritischen Wahlkampf sorgten im Iran die beiden Oppositionskandidaten Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi für Schwung. Später gingen Tausende Menschen auf die Straße. Daran erinnert kaum mehr etwas.

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Der Wahlkampf vor den heute beginnenden Präsidentschaftswahlen zeichnete sich vor allem durch Langeweile aus. Keiner der Kandidaten wollte offenbar das Schicksal von Mussawi und Karrubi teilen. Seit Februar 2011 stehen sie unter striktem Hausarrest. Sechs Kandidaten wollen Präsident Mahmud Ahmadinedschad heute ablösen.

Bei allen stand der Atomstreit mit dem Westen im Mittelpunkt ihres Wahlkampfes. Sowohl die beiden konservativen Kandidaten als auch der Mitbewerber aus dem Reformlager sehen in Ahmadinedschads Atompolitik die Ursache für die derzeitige politische und wirtschaftliche Krise im Iran. Aber die Atompolitik ändern und beispielsweise die Urananreicherung einstellen – wie von der Weltgemeinschaft gefordert – will keiner der allesamt regimetreuen Kandidaten.

Laut Verfassung hat im Iran der oberste Führer, Ajatollah Ali Chamenei, das letzte Wort in strategischen Belangen. Das gilt nicht nur für die Atompolitik, sondern auch für die Nahostpolitik und die damit verbundenen Feindseligkeiten im Verhältnis zu Israel und den USA. Auch die Unterstützung für das Regime in Damaskus sowie die Zusammenarbeit mit der schiitischen Hisbollah im Libanon und der radikal- islamischen Hamas in den Palästinensergebieten gehören zur sogenannten Staatspolitik.

Der Präsident kann daher diese strategischen Punkte nur umsetzen, sie aber nicht ändern. Dennoch: Sowohl der konservative Ali Akbar Welajati als auch der Reformkandidat Hassan Ruhani erachten Ahmadinedschads Atomkurs als unnötige Hetzrhetorik und gefährliche Abenteuerpolitik. Welajati will „eine gut kalkulierte Diplomatie“ führen, um unnötige Konfrontationen zu vermeiden.

„Den Atomstreit kann man aber nicht mit freundlicher Rhetorik ändern, sondern nur mit Kompromissbereitschaft“, sagt ein ausländischer Diplomat in Teheran. Das will aber keiner der Hauptkandidaten. Die beiden Ex-Präsidenten Mohammed Chatami und Akbar Hashemi Rafsandschani warfen ihr politisches Schwergewicht hinter Ruhani, indem sie ihre volle Unterstützung erklärten.

Ruhani gehört definitiv nicht zum Establishment aus Klerus und Militärkommandeuren. Dennoch: Hitzige Diskussionen gab es im Vorfeld kaum. Über die Fernsehdebatten machten sich sogar iranische Medien lustig. Die glichen mehr Kinderprogrammen und Quizsendungen, weil die Kandidaten nur artig und brav die Fragen des Moderators beantworteten. Nur Ruhani sorgte einmal während einer Debatte mit regimekritischen Bemerkungen für Abwechslung.

Danach fasste das Staatsfernsehen den Entschluss, keine weiteren Debatten mehr zu senden. Von der Bewegung Mussawis ist nicht mehr viel übrig geblieben. Nachdem Polizei und Sicherheitskräfte die Proteste nach der Wahl 2009 gewaltsam unterdrückten, Mussawi quasi mundtot machten sowie mehrere Journalisten, Dissidenten und sogar Reformpolitiker einsperrten, existiert die Bewegung de facto nur noch auf Internetseiten, die im Iran verboten sind.

Eine neue, weitaus kleinere Welle treten Jugendliche los, die jünger als 20 Jahre sind. Sie dürfen erstmals wählen. Viele unterstützen Ruhani. Die Farbe der Bewegung ist Lila. In der derzeitigen Wirtschaftskrise ist den Menschen aber nicht nach neuen Protestdemonstrationen zumute. „Die Wahlbeteiligung entscheidet über den Sieger“, prophezeit ein iranischer Journalist. Eine niedrige Wahlbeteiligung würde die Chancen des Atomchefunterhändlers Said Dschalili erhöhen.

Seine Anhänger kommen aus dem Umfeld der Konservativen oder Ahmadinedschads. Diese werden definitiv wählen gehen. Bei einer Wahlbeteiligung von mehr als 40 Prozent hätten dann die beiden konservativen Topkandidaten, der ehemalige Außenminister Welajati und Teherans Bürgermeister Mohammed Bagher Ghalibaf, bessere Chancen.

Von Farshid Motahari