Parlament: So friedlich waren sie noch nie

Mechthild Heil nahm es mit Humor: „Hoffe, die Kollegen haben Zahnbürste und Kuschelkissen dabei“, schrieb die CDU-Bundestagsabgeordnete am Donnerstag im Internet- Netzwerk Facebook. Zum Abschluss der 17. Legislaturperiode hatte sich der Bundestag noch einmal zu einer Mammutsitzung zusammengefunden.

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Von Michael Bröcker, Andreas Gruhn & Gregor Mayntz

Knapp 16 Stunden tagten die Parlamentarier, erst um 0.52 Uhr Freitag früh war Schluss. Am Freitag verabschiedeten sich die Parlamentarier in die „sitzungsfreie Zeit“. Urlaub, Wahlkreisarbeit, Familienzeit. Rückblick auf eine rekordverdächtige Legislaturperiode.

Gesetzgebung:

Das Kerngeschäft des Parlaments blühte. 837 Gesetze wurden bis zum jüngsten Gesetz für einen Fluthilfefonds in dieser Woche eingebracht, davon wurden 532 mit der schwarz-gelben Mehrheit verabschiedet. Fast alle Gesetze kamen aus der Regierung, 13 gingen auf Initiativen des Bundesrates zurück, 73 kamen aus den Reihen des Bundestages.

Stil und Abstimmungen:

Der Bundestag in der 17. Wahlperiode war der friedlichste in der Geschichte des Parlaments. Die Sitzungsleitung musste nur 15 Ordnungsmaßnahmen ausrufen, es gab nur einen einzigen Ordnungsruf. Den kassierte der Linken-Abgeordnete Jan van Aken am 18. März 2011 in der Debatte über den Kampfeinsatz der Nato in Libyen.

Van Aken hatte FDP-Außenminister Guido Westerwelle für die Enthaltung der Stimme im UN-Sicherheitsrat gelobt und von einem echten Fortschritt im Vergleich zu Rot-Grün gesprochen: „Sie von der SPD sind im Moment die größten Kriegstreiber im Bundestag“, rief von Aken. Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) erteilte van Aken einen Ordnungsruf. Der erwiderte nur: „Ich nehme diesen Ordnungsruf mit Stolz an.“

Die Zeiten, in denen SPD-Fraktionschef Herbert Wehner 58 Ordnungsrufe kassierte und Abgeordnete sich gegenseitig als „Lump“ oder „Lümmel“ bezeichneten, sind aber offenbar vorbei. In den Jahren 1983 bis 1987 gab es 132 Ordnungsrufe. 16 Mal mussten die Abgeordneten wegen unklarer Mehrheiten per Hammelsprung entscheiden. Zuletzt sorgte der Antrag der Linken für Unmut, der die Beschlussunfähigkeit des Parlaments feststellte und die Abgeordneten die Sitzung wiederholen ließ.

Fünf Sondersitzungen gab es, zwei folgen im September wegen des Haushalts 2014.

„Die Tagesordnung ist erschöpft – ich auch.“

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse

nach einem fast 16-stündigen Sitzungsmarathon

des Bundestags, der erst weit nach

Mitternacht endete. Teil 2 folgte am Freitag.

Petitionen:

60 000 Petitionen, also Beschwerden, Bitten oder Ersuche aus der Bevölkerung, wurden an das deutsche Parlament gerichtet. Wie viele davon tatsächlich zu Veränderungen oder neuen Gesetzen führten, ist unbekannt.

Längste Sitzung:

Die Sitzung vom vergangenen Donnerstag auf Freitag dauerte genau 15 Stunden, 49 Minuten und 39 Sekunden und war damit die längste Sitzung.

Anfragen:

Das Werkzeug der Opposition, um die Bundesregierung zu piesacken und unbequeme Informationen zu verlangen. 54 Große Anfragen und 3348 Kleine Anfragen an die Bundesregierung beschäftigten den Bundestag. Absoluter Spitzenreiter bei den Kleinen Anfragen war die Linkspartei mit 1539 Anfragen der Fraktion.

Schnellstes Gesetz:

Das Meldegesetz, das Datenschützer scharf kritisierten, passierte im Juni 2012 in nur 57 Sekunden den Bundestag. Die meisten Abgeordneten saßen derweil gegenüber in der Parlamentarischen Gesellschaft und schauten das EM-Halbfinalspiel Deutschland gegen Italien. Die Bedenken gegen die in letzter Minute in den Entwurf geschriebene Verringerung des Datenschutzes wurden nur „zu Protokoll“ gegeben. Nach breiter Empörung wurde das Gesetz nachgebessert.

Premieren:

Ein Novum in der Parlamentsgeschichte – Bundestagspräsident Norbert Lammert setzte sich in einer Debatte über den Euro-Rettungsschirm über die zwischen den Fraktionen verabredeten Redezeitverteilungen und Rednerlisten hinweg und erteilte auch Euro-Skeptikern in der Koalition das Wort. Neuland betrat der Bundestag zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages: Er tagte gemeinsam mit den Kollegen des französischen Parlamentes.

Regierungserklärungen:

Mehr als jeder ihrer Vorgänger musste Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Politik im Bundestag erläutern. Fast 20 Regierungserklärungen hielt die CDU-Kanzlerin, vor allem zur Euro-Krise.