Dresden

Mit dem Hochwasser stieg die Solidarität

Selbst das Schlauchboot war kein sicherer Ort, als die Wassermassen kamen. Die Fluten im August 2002 hielten Tausende Menschen entlang der Elbe und ihrer Nebenflüsse mehrere Tage in Atem.
Selbst das Schlauchboot war kein sicherer Ort, als die Wassermassen kamen. Die Fluten im August 2002 hielten Tausende Menschen entlang der Elbe und ihrer Nebenflüsse mehrere Tage in Atem. Foto: dpa

Vor zehn Jahren traten die Elbe und ihre Nebenflüsse weit über die Ufer und sorgten für Chaos und Zerstörung. Ein Rückblick.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Es sind Tage der Superlative: Superlative von Leid, Angst und Verwüstung, Fassungslosigkeit, aber auch von menschlicher Nähe, Solidarität und Durchhaltewillen. „Die Bilder sind noch immer präsent“, sagt der Mediziner Prof. Andreas Werner, wenn er über die Tage der Jahrhundertflut von 2002 spricht. Werner (59) war schon damals ärztlicher Direktor des Diakonissenkrankenhauses in Dresden. Nach Tagen des Bangens musste auch sein Krankenhaus, das nur einen Steinwurf von der Elbe entfernt liegt, im August evakuiert werden.

Wie auf Knopfdruck sprudeln die Erinnerungen bei Werner und anderen Betroffenen hervor, wenn sie auf die dramatischen Tage vor zehn Jahren angesprochen werden. Die Bilder haben sich eingebrannt, selbst wenn die Milliardenschäden längst behoben und heute viele Orte schöner als vor der dreckig-braunen Flut sind.

Von den Wassermassen der über die Ufer getretenen Mulde ist die sächsische Kleinstadt Wurzen völlig überflutet.
Von den Wassermassen der über die Ufer getretenen Mulde ist die sächsische Kleinstadt Wurzen völlig überflutet.
Foto: dpa

Werner erinnert sich an den Kampf um sein Krankenhaus, an die Krisensitzungen der Stadtverwaltung, die widersprüchlichen Prognosen zum Wasserstand, an fassungslose Angehörige von Patienten, an die Helfer mit Sandsäcken. Dann kommt er fast ins Schwärmen, als er vom Einsatz der Bundeswehr bei der Evakuierung spricht. „Es lief dann alles so geordnet, so professionell“, sagt er mit Dankbarkeit in der Stimme.

Was der Mediziner so bewegt beschreibt, ist Teil des größten zivilen Einsatzes der Bundeswehr und verdeutlicht die Dimension der Katastrophe. Mehrere Dresdner Krankenhäuser müssen geräumt und Patienten gar mit Flugzeugen aus der Stadt geflogen werden – weil ungeheure Wassermassen über Dresden und andere Orte vor allem entlang der Elbe hereinbrechen.

Als sich nach heftigen Regenfällen im Erzgebirge am 12. August 2002 die kanalisierte Weißeritz in Dresden ihr altes Flussbett zurückerobert und Teile der Innenstadt überschwemmt, ahnt noch niemand etwas von einer Jahrhundertflut, die dann besonders die Anrainer der Elbe über Wochen in Atem halten wird. Denn gespeist aus übervollen Bächen schwillt schließlich die Elbe unaufhaltsam an und überflutet Teile der Landschaft bis in den Norden Deutschlands, weicht Schutzwälle auf, durchbricht Deiche, bringt Menschen an den Rand ihrer Kräfte.

Dresden trifft es doppelt, durch Weißeritz und Tage später die Elbe. Die Bilder vom Wasser der Weißeritz, das aus dem Dresdner Hauptbahnhof wie ein Sturzbach schießt, gehen um die Welt. Auch die der Familie Jäpel aus dem kleinen Ort Weesenstein, die eine Nacht auf einem Mauerrest mitten in den Fluten der angeschwollenen und reißenden Müglitz auf Rettung wartet. Sie wird nach 13 Stunden in Sicherheit gebracht. Dennoch: 21 Menschenleben fordert die Flut in Sachsen. Auf eine solche Katastrophe war niemand vorbereitet.

Sachsen ist im August 2002 schließlich mit Abstand das am meisten betroffene Bundesland: Die Schäden summieren sich entlang der Gebirgsflüsse sowie an Elbe und Mulde auf rund 8,6 Milliarden Euro. Wie Pappkartons weggespülte Häuser, zerstörte Brücken, aufgerissene Bahndämme, verschlammte Straßen, durchnässte Kunstschätze, verwüstete Parks und zerstörte Betriebe hinterlässt die Jahrhundertflut. In Dresden erreicht die Elbe am 17. August den historischen Höchststand von 9,40 Metern.

Die Katastrophe bringt aber auch viele Menschen näher zueinander, löst eine ungeahnte Welle der Solidarität aus. Wer wegen des Hochwassers nicht mehr zur Arbeit gelangt, füllt Sandsäcke, besorgt Essen für die Helfer, verteilt Spenden oder greift Flutopfern beim Aufräumen unter die Arme. Aus ganz Deutschland kommt Hilfe für die Menschen in den betroffenen Bundesländern. Technisches Hilfswerk, Rotes Kreuz, Unternehmen, Privatleute – alle machen mit.

„Wildfremde Leute haben geholfen“, erinnert sich auch der Mediziner Werner. „Manchmal war das schon fast zu viel. Man musste aufpassen, dass das nicht zum Volksfest ausartete“, schildert er die teilweise schon euphorische Stimmung jener Tage. Wenig später spricht Werner dann von den gespenstischen Augenblicken, als er durch die Fluten im Erdgeschoss seines leeren Krankenhauses watet. „Das war schon unfassbar. Was für eine zerstörerische Kraft das Wasser hatte.“

Mittlerweile wurde viel in die Sicherheit investiert: Deiche und Dämme sind modernisiert oder erhöht, mobile Flutwände angeschafft, Warnsysteme verbessert, Flüsse haben mehr Raum. Die Sorgen der Flussanwohner sind aber die alten: Wenn es länger regnet, gehen die Gedanken zurück zum August 2002. Denn die Bilder der Katastrophe sind in den Köpfen.

von Petra Strutz