Medienkritik: Wer schön sein will, muss leiden

Es ist eine Sendung, die wie keine andere Hunderttausende Mädchen und junge Frauen vor die Bildschirme bannt: „Germany's next Topmodel“, kurz „GNTM“. Doch beim Finale standen – wenn auch nur für wenige Sekunden – zwei so gar nicht nach Model aussehende Frauen im Mittelpunkt.

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Kurz nach der Verkündung, wer ins Finale einziehen darf, und während sich die Kandidatinnen tränenreich in den Armen liegen, stürmen zwei junge Frauen in Jeans auf die Bühne, reißen sich die Blusen auf und entblößen ihre nackten Oberkörper. „Heidis Horror Picture Show“ steht dort aufgemalt auf ihrer Brust. Es sind zwei Aktivistinnen der Frauenrechtsorganisation Femen, die wie viele andere der TV-Castingshow kritisch gegenüberstehen.

Seit 2006 sucht „GNTM“ jedes Jahr nach dem „schönsten Mädchen Deutschlands“, wie es die Jury um Topmodel Heidi Klum immer wieder betont. Genauso lange prangern Medienpädagogen, Politiker und letztlich Eltern junger Frauen öffentlich an: „GNTM“ propagiere ein unrealistisches, ungesundes Körperbild für weibliche Jugendliche, und zum anderen würde die Frau unter Druck gesetzt, ihre weiblichen Reize und den spärlich bedeckten Körper einzusetzen um erfolgreich in der Sendung somit auch im Leben zu sein.

„Ich halte davon sehr wenig, weil ein Ideal propagiert wird, dem die allerwenigsten entsprechen können“, sagt auch Julia Klöckner, Vorsitzende der CDU-Fraktion in Rheinland-Pfalz. Sie ist schon lange Kritikerin der Castingshow. „Wer sind denn diese Showverantwortlichen, dass sie sich anmaßen zu entscheiden, was das Idealbild ist? Jeder Mensch ist individuell.“

Sendungen wie „GNTM“ setzten laut Klöckner Mädchen unter Druck, so wie die Teilnehmerinnen auszusehen, „damit sie in sind“. Auch Eva Weickart, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte in Mainz, hält nicht viel von „GNTM“. „Solche gruseligen Sendeformate sind medialer Ausdruck immer noch wirksamer Rollenzuschreibungen“, sagt Weickart. Die Leiterin des Frauenbüros in Mainz setzt die Sendung mit einer „rosa Verblödung“ gleich, die „Mädchen und jungen Frauen den gesellschaftlich erwünschten, definierten Platz“ zuweist und sie zu Objekten macht.

Tatsächlich gab es auch in der diesjährigen Staffel, die am Donnerstag in einem medialen Spektakel in der Mannheimer SAP-Arena endete, wieder viele Negativbeispiele: „Du kannst kein Profimodel werden, wenn du nicht in deinen Körper investierst“, sagt Jurymitglied und Art-Director Thomas Hayo in der sechsten Folge – und stellt den Kandidatinnen gleich einen Fitnesstrainer an die Seite.

„Sag mal – sind das Achselhaare?“, fragt Heidi Klum die 16-jährige Jaqueline mit prüfendem Blick. Die Schülerin hat es doch wirklich gewagt, zu einem Fotoshooting zu kommen, und sich bereits am Vorabend die Achselhaare entfernt zu haben. Einer der größten Werbepartner von „GNTM“ ist ein Hersteller für Rasierapparate – da werden die kleinsten Haarstoppeln nicht geduldet.

Den größten „Fauxpas“ leistet sich Marie (17, Maße: 81–66–96), die sich während einer Folge ein Schälchen Pommes gönnt. Als Juror Thomas Hayo das mitbekommt, flippt er aus: „Das geht gar nicht, da gab's doch Fisch und Salat. Du hast doch zwei bis drei Pfund zugenommen.“

Auch Heidi Klum ermahnt Marie während eines Bikinishootings immer wieder: „Bauch einziehen!“ Beispiele wie diese suggerieren, dass jede Frau den unrealistischen Traum vom Modeldasein leben kann – wenn sie an sich und ihrem Körper arbeitet und sich in ein bestimmtes Schema presst. „Ich finde die Reduzierung auf das Äußere eine bedenkliche Entwicklung“, sagt CDU-Politikerin Klöckner.

„Schönheit, Attraktivität, Zufriedenheit lassen sich doch nicht nur an der Länge der Beine und am Hüftumfang messen.“ Bisher hat kein anderes Format an den Erfolg von „GNTM“ anknüpfen können. Die durchschnittlichen Einschaltquoten der achten Staffel lagen bei 15,6 Prozent Marktanteil bei den 14 bis 49-Jährigen und die Show ist damit erfolgreicher als jede andere wöchentliche Showreihe des Senders ProSieben. Ähnliche Fernsehshows wie „Das perfekte Model“ (VOX) oder „Million Dollar Shooting Star“ (Sat.1) wurden bereits nach der ersten Staffel abgesetzt.

Der Reiz der Sendung ist auch nach acht Jahren ungebrochen: Selten ist die High-Heel-Dichte höher als beim ausverkauften Finalabend in der SAP-Arena. 11 000 Zuschauer wollen die Kandidatinnen sehen, die sie wochenlang im Fernsehen angehimmelt haben. Im Publikum sitzen viele junge Frauen, die sich extra aufgehübscht haben, zum Friseur gegangen sind und kurze Kleider tragen.

Der Traum „vom normalen Mädchen zum Topmodel“, wie es die Jury immer wieder betont, wird für einige der Zuschauerinnen in der Arena zum Greifen nah. So wird es ihnen vorgespielt. Der Moderator, der während der Werbepausen die Zuschauer bei Laune halten soll, fragt immer wieder:

„Wer will von euch auch bei ,Germany's next Topmodel' mitmachen?“Die Mädchen antworten mit lautem Kreischen. „Es laufen hier viele Talentscouts rum, vielleicht werdet ihr ja entdeckt!“ Schließlich holt er sieben Mädchen aus dem Publikum auf die Bühne. Die Jüngste ist sechs, die Älteste ist zwölf Jahre alt. Alle verbindet der Wunsch, einmal Model zu werden. Dann dürfen sie den Laufsteg entlangschreiten und bekommen als Belohnung einen Lutscher.

Und Heidi? „Ich mag es nicht, wenn die Mädchen Sachen essen, die ungesund sind. Wenn sie über den Laufsteg laufen, soll alles fest sein“, sagte sie kürzlich in einer Pressekonferenz. „Ich bin und war selbst nie die Dünnste. Ich gucke meine Mädchen an und möchte, dass sie super in shape (in Form) sind.“ Die Frauenrechtsorganisation Femen feiert unterdessen ihren Auftritt auf Facebook und fordert das Ende der „Kommerzialisierung des weiblichen Körpers“.