Hannover

Kuscheln statt streiten vor dem Wahljahr: Merkel nennt ihre Regierung „erfolgreichste seit der Wiedervereinigung“

Sie applaudieren lange. Nach der rund einstündigen Rede der Parteichefin Angela Merkel klatschen die 1000 Delegierten beim Bundesparteitag in Hannover knapp zehn Minuten für ihre Vorsitzende. Die Erwartungen waren schon vorab hoch und höher geschraubt worden.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

Die Länge des Beifalls gilt als Signal für den Rückenwind des Spitzenpersonals in der Partei. Und die CDU will, dass Angela Merkel nach der Bundestagswahl 2013 Bundeskanzlerin bleibt. Kritische Töne aus der Basis werden da fürs Erste weggeklatscht. Denn der Wahlkampf vor dem nächsten Herbst, er hat schon begonnen.

RLP-General Schnieder: „Sie hat zu Recht eine sehr positive Bilanz gezogen“

Auch die rheinland-pfälzischen Delegierten applaudieren minutenlang für Angela Merkel. „Sie hat zu Recht eine sehr positive Bilanz gezogen“, sagt der rheinland-pfälzische Generalsekretär Patrick Schnieder in die Mikrofone der zahlreichen Journalisten rund um die rheinland-pfälzische Delegation. Die Bundes-CDU blickt nach vielen Jahren wieder mit gestiegener Aufmerksamkeit auf den rheinland-pfälzischen Landesverband. Später wird das fulminante Ergebnis seiner Landesvorsitzenden Julia Klöckner für die Rheinland-Pfälzer noch wichtiger sein als Merkels Bilanz. Klöckner wird mit 92,9 Prozent zu einer von insgesamt fünf Stellvertretern der Parteichefin gewählt. Ein großartiges Resultat, das sie zum neuen Jungstar der Christdemokraten macht.

Kanzlerin gibt sich präsidial und predigt Selbstbewusstsein

Allerdings ist neben der Kanzlerin jetzt noch nicht viel Platz für neue Gesichter. Ruhig und sachlich, präsidial und stellenweise fast predigend verortet Angela Merkel die CDU in der Parteienlandschaft und ganz nebenbei auch noch Deutschland in der Welt. Wie schon im vergangenen Jahr beim Parteitag in Leipzig spricht sie viel von Kompass und Steuer. Die sprachlichen Bilder von der See gefallen ihr. Der Kapitän ist ganz klar sie. Doch so selbstbewusst wie in Hannover hörte man sie selten. Die Opposition scheint für sie nicht existent. SPD und Grüne werden kaum genannt, ihren Koalitionspartner FDP erwähnt Merkel einmal scherzhaft („Gott hat die FDP vielleicht nur erschaffen, um uns zu prüfen“).

Selbstbewusstsein und Selbstvergewisserung sind ihr heute die wichtigeren Themen. Weniger nachdenklich, weniger besorgt als in Leipzig, als sie die Union noch mit großem Ernst auf die Gefahren der Euro-Krise hinwies, gerät ihr Auftritt in Hannover. Angela Merkel spricht über christliche Werte, beschwört die Kernbotschaften der Union, kurz: erklärt der Partei, wo sie herkommt und wo sie hinwill. Es ist auch ihre persönliche Rechenschaft, die sie vor ihrer Partei ablegt, wenn sie ihre Regierung als die „erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung“ bezeichnet. Ein selbstbewusster Auftritt gegenüber ihren Kritikern in den eigenen Reihen, die ihr wegen zahlreicher Kehrtwenden in Grundsatzfragen immer wieder Profillosigkeit vorwarfen.

CDU steuert „unser Land durch diese schwere See mit klarem Kompass“

„Es ist die CDU, die unser Land durch diese schwere See mit klarem Kompass steuert“, sagt die Kanzlerin und erhält dafür nun fast stürmischen Applaus. Sie zeichnet ein Bild von Deutschland als CDU-gemachtes Arbeits- und Wirtschaftsparadies. Die Arbeitslosigkeit auf dem Tiefststand, Millionen Menschen in Arbeit und Sicherheit, verbesserte Bildungschancen für Millionen, das sind für sie Erfolge der Unionspolitik. „Auch unter Rot-Grün waren die Menschen fleißig, aber es macht eben einen Unterschied, wer die Rahmenbedingungen schafft.“ Es folgt dann doch noch ein überraschend klares Bekenntnis zur FDP. „CDU, CSU und FDP teilten gemeinsame Grundsätze und Werte“, sagt sie, so als hätte es die Wochen des Streits und des Feilschens vor dem letzten Koalitionsgipfel überhaupt nicht gegeben.

Streit der Koalitionsgipfel ist vorbei und vergessen

Wenn man der Bundeskanzlerin in Hannover zuhört, dann haben die Scharmützel, die ihrer schwarz-gelben Regierung in vielen Kommentarspalten schon den Titel der „schlechtesten Bundesregierung aller Zeiten“ einbrachten, überhaupt nie stattgefunden. Und sie, die Kanzlerin, schwebt sowieso über den Dingen. Sie bekennt sich zur Flexi-Quote für Frauen in Unternehmensvorständen und zur Mütterrente, zum Betreuungsgeld, zu Kita-Plätzen und zum Mittelstand, zur Regulierung der Finanzmärkte und zur Rente mit 67. Sie gibt als konservatives Leitmotiv der Union vor, „dass jeder sein Lebensmodell in dieser Gesellschaft leben kann“. Am Ende spricht die 58-jährige Bundesvorsitzende, die sich in Hannover zum siebten Mal zur Wiederwahl stellt, eine „Einladung an alle Menschen guten Willens“ aus, sich der CDU anzuschließen. So viel Pathos war selten bei Angela Merkel.

Als sich die Delegierten erheben und applaudieren, sieht sie bei all ihrer Routine überraschend gerührt und nachdenklich aus. Erst setzt sie sich, dann geht sie doch langsam noch einmal auf die Bühne. Es wirkt fast so, als sei sie ehrlich überrascht über den Zuspruch. Die CDU und ihre Vorsitzende sind sich sichtbar wieder nähergekommen auf diesem Parteitag. Man kann es wohl noch eine Weile miteinander aushalten. Wie lange?

Am Abend jedenfalls sind sehr viele Kameras auf die Rheinland-Pfälzerin Julia Klöckner gerichtet. Stürmischer Applaus brandet auf, als ihr Ergebnis verkündet wird. Sie ist damit in den Kreis der potenziellen Nachfolger von Angela Merkel vorgerückt. Doch eine Nach-Merkel-Zeit kann sich in der Union noch niemand vorstellen.

Vom Parteitag in Hannover berichtet Rena Lehmann