Kritik um Kastration von Ferkeln: Warum es ein Dilemma ist
Die Anwendung der niederländischen Erfindung sei für das Tier schmerzfrei und für den Menschen ungefährlich, behauptet Dick und zeigt, wie's geht – mithilfe von Plüschschweinen, die weder weglaufen, quieken oder sich gar wehren. Er legt die Ferkelattrappen rittlings auf den Apparat aus aseptischem Edelstahl, klemmt sie mittels eines klappbaren Bügels fest und stopft ihren Rüssel in eine Maske aus Silikon. Durch die strömt das Narkosemittel, erklärt er, zeitgleich wird der Anteil, den das Ferkel ausatmet, abgesaugt. Das soll verhindern, dass das Gas austritt, das beim Menschen Nierenschäden verursacht und in der Atmosphäre klimaschädlich wirkt. Nach knapp einer Minute ist das Ferkel betäubt und kann schmerzfrei kastriert werden. Drei Ferkel schafft ein Mann (oder eine Frau) in einem Rutsch, 90 pro Stunde. Der Schlaf hält nur kurz, die Tiere sind nach dem Eingriff schnell wieder fit, preist Dick die Methode. Sein niederländischer Auftraggeber könne die in Deutschland benötigte Stückzahl an Geräten locker produzieren. Subventioniert werden soll die Anschaffung künftig auch, man sei in engem Gespräch mit der Politik. Schlagendes Argument für eine Technik, deren Anschaffungspreis bei 9800 Euro liegt.
Um Geld geht es auch bei der Podiumsdiskussion, die sich um die Frage „Besser Impfen statt Kastrieren?“ dreht. Was die Gesandten von Landwirtschaft, Medizin, Wissenschaft, Handel, Tier- und Verbraucherschutz vorzubringen haben, zeigt, wie kompliziert die Sache ist. Für Prof. Lars Schrader, Leiter des Instituts für Tierschutz und Tierhaltung am Friedrich-Loeffler-Institut, ist die Sache klar: „Aus tierschutzrechtlicher Sicht ist die Impfung mit Improvac die beste Methode“, sagt er. Die Hormongabe sei praktikabel, kostengünstig und sogar von den meisten NGOs akzeptiert. NGOs, Nichtregierungsorganisationen, sind für Landwirte üblicherweise so etwas wie der Antichrist: Tierschützer, die Bauern öffentlich diskreditieren, ihren Ruf ruinieren. Auch Georg Freisfeld, Schweinehalter und Teilnehmer der Arbeitsgruppe Tierschutz im Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung, hält die „Immunokastration“ (siehe Text unten) für praktikabel. Allerdings kostet die rund 2 Euro pro Anwendung – „da wird's für konventionelle Bauern eng“, mahnt er.
Dass die seit Jahren rückläufige Schweinefleischproduktion komplett ins Ausland abwandert, wollen aber auch die Tierschützer nicht. Deshalb ruft Angela Dinter vom Verein ProVieh sämtliche Beteiligten der Produktionskette an einen Tisch. Sie wünscht sich „Fleisch von unversehrten Tieren“, Planungssicherheit für Landwirte, verantwortungsvolle Verbraucher und die Klärung offener Tierschutzfragen. Was zeigt, dass die Diskussion an diesem Tag keinesfalls ihr Ende finden wird. Janina Willers von der Verbraucherschutzzentrale steigt in die Rolle der Vermittlerin: „Jeder Betrieb sollte das Verfahren aussuchen dürfen, das zu ihm am besten passt“, findet sie und sieht ihre Aufgabe darin, Fehlinformationen bei den Kunden entgegenzuwirken: durch Aufklären. Von einem Label, das Fleisch von geimpften oder kastrierten Schweinen im Laden kennzeichnet, hält sie dennoch nichts. Weil sie weiß: So genau wollen es Fleischesser gar nicht wissen.
„Viel Unwissenheit, wenig erfahrung“ auf der Seite der Verbraucher, aber auch der Schweinebauern sieht Daniel Mörlein. An der Universität Göttingen arbeitet der Professor an der Geruchserkennung von Eberfleisch und attestiert der Debatte ein schweres Missverhältnis zwischen Fakten und Vorstellungen. Für ihn ist die Rolle des Handels essenziell. Nina Blankenhagen nimmt das Stichwort als Vertreterin der Rewe-Gruppe auf. Die lehnt Fleisch von betäubungslos kastrierten Schweinen ab – lange Zeit als Einzelkämpfer der Branche, wie sie sagt. Aus dem Publikum meldet sich ein Schweinebauer. Auch er will seinen Tieren Leid ersparen. Dafür muss er sich erst neue Mitstreiter suchen. Deutschlands größte Schlachterei lehnt das Fleisch seiner geimpften Schweine ab. Nicole Mieding