Sewastopol

Krim: Putins Freunde kontrollieren jeden

Aufmarsch
Aufmarsch vor einer ukrainischen Militärbasis auf der Krim. Foto: Anton Pedko

Der Motorradrocker führt an der Straßensperre das Wort. „Keine Interviews, keine Kommentare. Keine Fotos von Gesichtern und Nummernschildern“, sagt er drohend. Westliche Journalisten mag der bärtige Glatzkopf mit der Lederkappe und der Spiegelbrille offensichtlich nicht. Seine Kluft weist ihn als Mitglied der „Night Wolves Russia“ aus – ein berüchtigter Bikerklub, dessen Chef Aleksander Saltostanow gut Freund mit Wladimir Putin ist.

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Bewaffnet
Die Lage auf der Krim bleibt angespannt.
Foto: Maxim Shipenkov

Von unserer Korrespondentin Doris Heimann

Auf der Straße, die von Simferopol in die Hafenstadt Sewastopol führt, haben die Rockereinen irregulären Checkpoint errichtet. Wer hier durch will, muss sich von Putins Freunden kontrollieren lassen. Ein paar Dorfbewohner haben ihre Uralt-Mopeds neben die Maschinen der Biker gestellt und machen mit. „Wir kontrollieren hier, ob jemand Waffen und Munition dabei hat“, sagt Maksim Owinetski. „Wir hoffen, dass alles friedlich bleibt.“ Der junge Landwirt aus dem nahen Dorf Werchnoe Sadowoe zupft an seiner Wollmütze, äugt nach dem Rockerchef, der sich am Lagerfeuer die Hände wärmt. „Niemand in Kiew ist doch so blöd und schickt eine Busladung mit Demonstranten auf die Krim“, sagt er schnell. „Damit würden sie ja eine russische Invasion provozieren.“

Doch die Invasion der Schwarzmeer-Halbinsel durch russische Streitkräfte hat schon begonnen. Nicht mit Kolonnen von rollenden Panzern und marschierenden Soldaten, auch wenn das in den Fotos westlicher Medien gern so dargestellt wird. Sondern schleichend, mit kleinen Nadelstichen und „Verhandlungen“ unter Waffengewalt hinter geschlossenen Türen. Putin hat sich vom Föderationsrat einen Militäreinsatz in der Ukraine genehmigen lassen. Das Ganze gleicht bislang mehr einer feindlichen Übernahme als einem Krieg.

In der Hafenstadt Sewastopol ist die Situation besonders prekär. Hier haben die russische und die ukrainische Schwarzmeerflotte ihre Basis. Ein Ergebnis der Teilung der Streitkräfte nach dem Zerfall der Sowjetunion. Wegen seiner strategischen Bedeutung hat Sewastopol einen Sonderstatus: Die Stadt ist direkt der Zentralmacht in Kiew unterstellt. Die meisten Bürger aber sind russischsprachig oder russische Staatsbürger. Täglich demonstrierten Tausende Bürger auf dem Platz am Nachimow-Denkmal gegen die proeuropäische Interimsregierung in Kiew.

Aufruhr in Simferopol
Pro-Russische Aktivisten vor dem Parlament in Simferopol auf der Krim.
Foto: Arthur Shwartz

Gleich nach dem Machtwechsel in Kiew hat der Stadtrat in Sewastopol den russischen Geschäftsmann Aleksej Tschaly zum neuen Bürgermeister gewählt. Der von Kiew eingesetzte neue Polizeichef wurde gleich verjagt. Sämtliche Sicherheitsorgane haben sich inzwischen mit Tschaly solidarisiert – und kooperieren mit den Russen. Nur die ukrainische Schwarzmeerflotte steht auf der Seite Kiews. „Die russischen Militärs versuchen jetzt, die Stützpunkte der ukrainischen Streitkräfte zu neutralisieren“, sagt der Militärbeobachter und Journalist Aleksander Schtaltowny, der selbst 20 Jahre als Offizier bei der ukrainischen Flotte diente.

Wie die Russen dabei vorgehen, zeigt das Beispiel der Raketenbasis der ukrainischen Luftwaffe. Russische Soldaten kamen mit Militärlastern ohne Kennzeichen. Sie umzingelten die Basis, drohten mit der Anwendung von Waffengewalt und drangen auf das Gelände ein. Dann übernahmen sie die Kontrolle über die Technik und entwaffneten die Soldaten. Ähnliches soll sich auch im Stab der ukrainischen Kriegsmarine abgespielt haben. „Die Russen verhandeln mit den ukrainischen Militärs über die Übergabe von Unterkünften und Logistik“, erklärt der Militärinsider Schtaltowny das Geschehen hinter den Kulissen, „offenbar wollen sie sich bis zum 30. März hier einrichten.“ An diesem Tag soll die Krim über eine größere Autonomie von Kiew abstimmen. Der Druck hat Erfolg: Am Sonntagabend läuft der Oberkommandierende der ukrainischen Marine, Denis Beresowski, zur prorussischen Seite über.

Bewaffnete
Bewaffnete unweit des Flughafen von Simferopol auf der Krim.
Foto: Artur Shvarts

In Sewastopol geht der Alltag scheinbar normal weiter. Familien gehen auf der Uferpromenade spazieren. Eine Frau mit Megafon wirbt für Hafenrundfahrten. Das Restaurant „Barkas“ offeriert frische Muscheln und Schwarzmeer-Scholle. Und doch liegt über all dem eine Unruhe.

Vor der Offiziersschule laufen besorgte Bürger zusammen. „Ich wollte wissen, was hier los ist“, sagt Denis Grankin (32). Viele Menschen hätten Panik und wollten die Stadt verlassen, erzählt der Programmierer. Denis glaubt, dass das sinnlos ist. Sollte es zum bewaffneten Konflikt in der Ukraine kommen, dann drohe überall Gefahr. Er ist einer der wenigen in Sewastopol, die die neue Regierung in Kiew unterstützen. „Ich bin russischsprachig. Aber seit den Ereignissen auf dem Maidan fühle ich mich als Ukrainer. Russland soll sich raushalten.“ Mit mehreren seiner prorussischen Freunde habe er sich deshalb überworfen. „Ich will hier keine russische Okkupation. Und wenn sie kommt, bin ich bereit, dagegen zu kämpfen“, sagt Denis und radelt davon.