Kinder können mit 500 Gramm in ein gesundes Leben starten

Frühgeburt: Die Medizin vollbringt manches kleine Wunder - Schwangere sollen Risiken beachten
Frühgeburt: Die Medizin vollbringt manches kleine Wunder - Schwangere sollen Risiken beachten Foto: Martin Valigursky

Mehr als 60 000 Kinder kommen jedes Jahr in Deutschland vorzeitig auf die Welt. Sie werden vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren und gelten damit als Frühgeborene, als sogenannte Frühchen. Mit steigender Tendenz werden auch in Rheinland-Pfalz Kinder zu früh geboren, mittlerweile liegt die Zahl bei 3000 pro Jahr.

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Mehr als 60 000 Kinder kommen jedes Jahr in Deutschland vorzeitig auf die Welt. Sie werden vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren und gelten damit als Frühgeborene, als sogenannte Frühchen. Mit steigender Tendenz werden auch in Rheinland-Pfalz Kinder zu früh geboren, mittlerweile liegt die Zahl bei 3000 pro Jahr.

Es gibt viele Ursachen, die zu einer deutlich zu frühen Geburt führen können – für die Eltern beginnt ein Hoffen auf die Medizin und ein langes Bangen um die Kinder.

Ist jedes Kind, das vor dem zuvor errechneten Termin geboren wird, eine Frühgeburt?

Nein. Eine reguläre Schwangerschaft dauert 40 Wochen. Das durchschnittliche Gewicht eines Neugeborenen beträgt zwischen 3000 und 3500 Gramm, seine Größe rund 50 Zentimeter. Von einem Frühchen spricht man nur dann, wenn ein Kind vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren wird. Das Geburtsgewicht liegt zwischen 500 und 2500 Gramm.

Wodurch wird eine Frühgeburt ausgelöst?

Mögliche Ursachen für eine Frühgeburt können sein: mütterliche Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes mellitus oder Bluthochdruck, Infektionen im Genital- und Harnwegsbereich, Schwangerschaftsdiabetes, Schwäche des Gebärmutterhalses, Mehrlingsschwangerschaften oder auch Risikofaktoren wie starkes Übergewicht oder Alkohol- und Zigarettenkonsum. Auch seelische Belastungen oder großer Stress können zu einem vorzeitigen Ende einer Schwangerschaft führen.

Was können Schwangere tun, um das Frühgeburtsrisiko zu minimieren?

Schwangere sollten alle Vorsorgeuntersuchungen nutzen und die erste Untersuchung unbedingt vor Ablauf der zwölften Schwangerschaftswoche in Anspruch nehmen. Bei unklaren Schmerzen, Ausfluss oder Juckreiz im Genitalbereich, Blutungen oder vorzeitigem Blasensprung sollten sie sofort mit ihrem Frauenarzt Kontakt aufnehmen. Werden vorzeitige Wehen festgestellt, klärt der Gynäkologe zunächst die Ursachen und leitet die entsprechende Therapie ein.

Trotz aller Vorsorgemaßnahmen droht eine Frühgeburt – kann ein Frühchen in jeder Klinik entbunden werden?

Handelt es sich um eine Spontangeburt, ist die nächstgelegene Klinik am sinnvollsten. Bei Bedarf muss das Frühchen allerdings in eine Spezialklinik verlegt werden. Ist eine Frühgeburt mit einem Geburtsgewicht von unter 1250 Gramm voraussehbar, sollte ein sogenanntes Level-1-Zentrum gewählt werden. In Rheinland-Pfalz gibt es derzeit neun dieser Kliniken. Durch räumlich miteinander verbundene Entbindungsstationen, Operationssäle und eine Neugeborenen-Intensivstation mit mindestens sechs Plätzen bieten sie Mutter und Kind eine Maximalversorgung. Bei Frühgeburten mit einem erwarteten Gewicht über 1250 Gramm stehen weitere vier Level-2-Zentren zur Verfügung. Auch sie müssen hohe Anforderungen organisatorischer, apparativer und personeller Art erfüllen. Welche Klinik infrage kommt, sollten werdende Eltern mit dem behandelnden Gynäkologen oder der Hebamme besprechen.

Wie klein kann ein Frühgeborenes sein, um überhaupt eine Überlebenschance zu haben?

Durch die moderne Medizin haben heute Frühgeborene eine Überlebenschance ab einem Geburtsgewicht von etwa 500 Gramm, das entspricht ungefähr der 23. Schwangerschaftswoche. Es gibt aber auch immer wieder kleine Wunder: Im Juni 2009 ist es der Göttinger Uniklinik gelungen, ein 275-Gramm-Frühchen zu retten. Nach sechs Monaten Klinikaufenthalt wurde der Junge mit 3 700 Gramm nach Hause entlassen.

Wer entscheidet über den Beginn oder Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen?

Die folgenschwere Entscheidung über Leben und Tod eines Frühchens trifft eine sogenannte Ethikrunde, die aus Ärzten, Hebammen und Spezialisten aller Art besteht. Dabei geht es unter anderem um Fragen der Zumutbarkeit beziehungsweise Unzumutbarkeit von Leiden und um Fragen der Prognosen für die zukünftige Entwicklung des Kindes. Im Mittelpunkt steht dabei immer der vermeintliche Wille des Kindes. Die Meinung der Eltern wird einbezogen, ihnen wird aber in dieser emotionalen Ausnahmesituation die Last der unumkehrbaren Entscheidung bewusst abgenommen.

Was sind die Risiken und Folgen einer Frühgeburt?

Mögliche Komplikationen während und unmittelbar nach der Geburt können sein: Gehirnblutungen, Lungenfunktionsstörungen, Atemstillstand, erhöhtes Infektionsrisiko oder Trink- und Temperaturregulationsstörungen. Bei den Spätfolgen lautet die Faustregel: Je unreifer die Kinder zur Welt kommen, desto höher ist das Risiko einer langfristigen Beeinträchtigung. Sie reichen von Depressionen, Körperbehinderungen, Seh-, Hör- und Sprachschäden über Aufmerksamkeitsdefizite, Hyperaktivität oder motorische Auffälligkeiten.

Wann sollte bei Beeinträchtigungen mit der Therapie begonnen werden?

Generell gilt: je früher, desto besser. Und es gilt auch: Weniger ist oft mehr. Nach erfolgter Diagnose sollten sich alle erforderlichen Therapeuten zusammensetzen und einen gemeinsamen Therapieplan ausarbeiten.

Wo bekommen Eltern von Frühgeborenen Unterstützung, nachdem die Kinder auf der Welt sind und das Krankenhaus verlassen haben?

Im Idealfall kümmert sich der Sozialdienst der Kliniken um die Nachsorge zu Hause und knüpft schon im Vorfeld die nötigen Kontakte. Kinderärzte sind mitunter die ersten Ansprechpartner, darüber hinaus gibt es in Rheinland-Pfalz acht Sozialpädiatrische Zentren (SPZ) mit insgesamt 27 Außenstellen. Neben einer intensiven Beratung erhalten die Eltern von Frühchen in diesen ambulanten Einrichtungen alles aus einer Hand, angefangen bei der frühzeitigen Diagnose bis hin zur Förderung und Behandlung von Entwicklungsstörungen sowie drohenden oder bestehenden Behinderungen. Die Behandlung in einem SPZ ist für gesetzlich versicherte Patienten kostenlos, sie muss aber verordnet werden.

Von unserer Mitarbeiterin Antoinette Malkewitz

Informationen zu Frühgeburten gibt der Landesverband Früh- und Risikogeborener Kinder unter ku-rz.de/fruehchen