Euro-Klagen: Und wer rettet die Richter?

Es ist selten, dass jemand den Richtern des Bundesverfassungsgerichts in einer Verhandlung sein Mitgefühl ausspricht. Bei der Verhandlung über den Euro-Rettungsschirm passierte es gleich zweimal: „Diesmal beneidet Sie niemand, denn jeder ahnt, vor welcher schwierigen Aufgabe Sie stehen“, sagt der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, gleich zu Beginn der Sitzung des Verfassungsgerichts.

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Und der SPD-Abgeordnete Peter Danckert, der bereits die Regelung über das umstrittene Neunergremium in Karlsruhe zu Fall gebracht hatte, meint mit Blick auf die ständigen Ermahnungen in Richtung Karlsruhe: „Da wird Stimmung gemacht. Ich weiß gar nicht, wie man das an Ihrer Stelle aushalten kann.“

Die Einsätze sind hoch

Es war wohl allen Beteiligten klar: Bei der Entscheidung über den Euro-Rettungsschirm ESM und den europäischen Fiskalpakt sind die Einsätze hoch. Ein Stopp des Rettungsschirms kann zu „erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen“ führen, „mit nicht absehbaren Folgen für die Bundesrepu-blik“, warnte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Später sprang ihm Volker Beck bei, der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen. Die Abgeordneten hätten sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. „Die Frage war: Riskieren wir ein Scheitern des Euro und damit eine große wirtschaftliche Rezession?“, sagte Beck. „Wir haben auch die Kladderadatsch-Variante erwogen.“ Doch wenn der Euro scheitere, glaubt Beck, „stellt sich insgesamt das Einigungsprojekt der Europäischen Union infrage“.

So wie die Verteidiger der Rettungsversuche aus unterschiedlichen Parteien kommen, so ist auch das Feld der in Karlsruhe klagenden Kritiker bunt. Darunter extreme Euro-Phobiker wie der Nürnberger Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider: „So wichtig ist die Euro-Rettung nun wirklich nicht“, meint der emeritierte Professor. „Es würde ein gutes Werk getan werden, wenn die Völker Europas von dieser Bedrückung befreit würden.“

Geklagt haben aber auch die gesamte Bundestagsfraktion der Linken, rund 12 000 Bürger unter dem Schirm des Vereins „Mehr Demokratie“ – weitere 11 000 unterstützen nach Vereinsangaben die Beschwerde – und der CSU-Politiker Peter Gauweiler. Alle im Kern mit ähnlichen Argumenten: Rettungsschirm und Fiskalpakt führen dazu, dass dem Bundestag die Kontrolle über den Haushalt entgleitet; deshalb sind sie mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Und wenn Deutschland die Verträge ratifiziert, lässt sich das nicht mehr rückgängig machen.

Doch während Gauweilers Prozessvertreter Dieter Murswiek vor einer Haftungsunion warnt, lässt Gysi aufseiten der Linken durchblicken, dass ihm eine Abstimmung über ein neues Grundgesetz eigentlich ganz recht wäre, weil man bei der Gelegenheit auch soziale Grundrechte in die Verfassung schreiben könnte.

Und die Richter? Sie ließen in der Verhandlung zunächst kein einheitliches Meinungsbild erkennen. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, fragt mehrmals kritisch nach: Inwieweit haben die Abgeordneten bei ihrer Entscheidung auch andere Risiken berücksichtigt, etwa aus dem provisorischen Rettungsschirm und der Europäischen Zentralbank? Und was passiert, falls der Rettungsschirm ESM selbst in Probleme gerät? Ist das nicht mit der Krise einer „systemrelevanten Bank“ vergleichbar? Könnte sich Deutschland dann Forderungen entziehen, weiteres Geld nachzuschießen?

Mehr Zeit für Entscheidung?

Eines wurde deutlich: Die Richter werden sich ihre Entscheidung nicht leicht machen. Voßkuhle ist sich der Signalwirkung bewusst, die selbst ein vorläufiger Stopp der Maßnahmen hätte – er kann sich vorstellen, was die europäischen Zeitungen dann schreiben. Der Senatsvorsitzende brachte deshalb eine Variante ins Spiel: Das Gericht könnte sich mit der Eilentscheidung mehr Zeit lassen, um nicht nur – wie sonst im Eilverfahren üblich – eine Folgenabwägung vorzunehmen, sondern eine „sehr sorgfältige summarische Prüfung“. Das System zur Euro-Rettung, meint Voßkuhle, ist „eine relativ komplexe Anlage, die es auch dem Gericht schwer macht, Boden unter den Füßen zu gewinnen“.

Von Jochen Neumeyer