Auf die Freiheitskämpfer besinnen

Als ich Mitte der 80er-Jahre einen Schulfreund in meiner niedersächsischen Heimat traf, traute ich meinen Augen nicht: An seinem Fahrrad klebte ein breiter Aufkleber mit einem roten Schriftzug und einer Fahne darüber. „Solidarnosc“ war dort zu lesen. Damals rückte dieses Wort das erste Mal in mein Bewusstsein. Ich verband es irgendwie mit Polen und dem neuen Machthaber im Kreml, Michail Gorbatschow, mit dem viele auch im Westen einige Hoffnungen auf ein Ende der Eiszeit zwischen Ost und West verknüpften. Heute weiß ich, wie viel Weitblick oder einfach Hoffnung auf eine andere Zukunft mein Schulfreund gehabt haben muss. Er war kein Pole, kein Sohn von DDR-Flüchtlingen. Er war einfach nur ein junger Mensch, der sich Wandel in der Welt des Kalten Kriegs wünschte – und diese Hoffnung mit dieser polnischen Gewerkschaft verband.

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Von Christian Kunst

Als ich Mitte der 80er-Jahre einen Schulfreund in meiner niedersächsischen Heimat traf, traute ich meinen Augen nicht: An seinem Fahrrad klebte ein breiter Aufkleber mit einem roten Schriftzug und einer Fahne darüber. „Solidarnosc“ war dort zu lesen. Damals rückte dieses Wort das erste Mal in mein Bewusstsein. Ich verband es irgendwie mit Polen und dem neuen Machthaber im Kreml, Michail Gorbatschow, mit dem viele auch im Westen einige Hoffnungen auf ein Ende der Eiszeit zwischen Ost und West verknüpften. Heute weiß ich, wie viel Weitblick oder einfach Hoffnung auf eine andere Zukunft mein Schulfreund gehabt haben muss. Er war kein Pole, kein Sohn von DDR-Flüchtlingen. Er war einfach nur ein junger Mensch, der sich Wandel in der Welt des Kalten Kriegs wünschte – und diese Hoffnung mit dieser polnischen Gewerkschaft verband.

Allerdings haben damals wohl nur wenige begriffen, dass Solidarnosc und ihr Anführer Lech Walesa in Europa erst eine Tür geöffnet haben, durch die dann Menschen wie Gorbatschow, Vaclav Havel oder Rainer Eppelmann schreiten konnten.

Dies wurde vielen erst im Revolutionsjahr 1989 bewusst, als die Solidarnosc und Walesa den Freiheitsdrang der Osteuropäer erneut erweckten. Doch nach der friedlichen Revolution in der DDR geriet dies für viele Deutsche schnell wieder in Vergessenheit. Daran ist Walesa nicht ganz unschuldig, der in den 1990er-Jahren als polnischer Präsident nicht gerade eine glückliche Figur abgegeben hat. Außerdem ist das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen besonders auf dem Gebiet der ehemaligen DDR alles andere als entspannt.

Wie bei der Wiedervereinigung zwischen Ost- und Westdeutschland hat die ernüchternde Tagespolitik schnell die Glücksmomente der gemeinsamen Vergangenheit überlagert. Und doch lohnt es sich auch bei der Bewältigung der heutigen Probleme einer globalisierten Gesellschaft, an die Freiheitskämpfer von damals zu erinnern. Denn heute geht es darum, in Abwandlung der damaligen Parole einen „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“ zu verteidigen.