Auf den Spuren dunkler Zeiten

Der fünf Meter hohe "Fackelträger" auf dem Vogelsang-Gelände ist steinernes Zeugnis der "Herrenmenschen"-Mentalität.
Der fünf Meter hohe "Fackelträger" auf dem Vogelsang-Gelände ist steinernes Zeugnis der "Herrenmenschen"-Mentalität. Foto: Carsten Luther

Holt uns die Vergangenheit einmal mehr ein? Günter Grass bekennt sich zu seinem Dienst in der SS, eine Schau in Schwerin zeigt die Skulpturen von Hitlers Lieblingsbildhauer – und im Nationalpark Eifel ist die frühere Nazi-Ordensburg Vogelsang zur Besichtigung freigegeben.

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Von Claus Ambrosius

Darf man diese Architektur faszinierend finden? Ist es erlaubt, eine ehemalige Einrichtung der Nationalsozialisten als Tourismusziel aufzumöbeln? All dies und noch viel mehr kann den Besuchern der „NS-Ordensburg Vogelsang“ durch den Kopf gehen: Seit Anfang des Jahres ist das Gebiet nahe der Eifelgemeinde Schleiden zur öffentlichen Besichtigung freigegeben.

Fast 50 Meter hoch erhebt sich der Bergfried der ehemaligen Ordensburg über dem Ensemble des Lagers.
Fast 50 Meter hoch erhebt sich der Bergfried der ehemaligen Ordensburg über dem Ensemble des Lagers.
Foto: Carsten Luther

Von 1946 an hatte das streng abgeschirmte militärische Sperrgebiet den belgischen Streitkräften als Truppenübungsplatz gedient – und überraschenderweise haben die Belgier die meisten steinernen Zeugen der NS-Zeit erhalten. Vogelsang war von 1934 an als nationalsozialistisches Schulungslager erbaut worden: In Federführung der „Deutschen Arbeitsfront“ sollten am krössingsee in Pommern, im Allgäu und in der Eifel Ausbildungsorte für einen Führungsnachwuchs im Sinne der NS-Diktatur entstehen. Schnell trat der Begriff „Schulungslager“ trat in den Hintergrund, und raumgreifende Feste auf dem Berg Vogelsang wurde als „Ordensburg“ bekannt.

Der Kölner Architekt Clemens Klotz bebaute das Areal am Urftsee zwischen den Gemeinden Gemünd, Heimbach und Schleiden mit einer erschlagend-monumentalen Architektur, die dem Hangverlauf geschickt angepasst ist. Der beinahe 50 Meter große Turm der „Burg“ krönt ein Ensemble, das von niedrigeren Bauten eingerahmt ist. Vom Hochplateau bietet sich ein atemberaubender Blick auf den Urftsee und die naturbelassene Eifellandschaft – an den Hängen unterhalb der „Burg“, die sich auf mehr als 210 Metern Länge erstreckt, entstanden die Funktionsgebäude zur Unterbringung und Verpflegung von bis zu 1000 Funktionären, die auf dem Vogelsang geschult werden sollten. Dazu kamen eine „Thingstätte“ (eine Freilichtbühne) sowie umfangreiche Sportanlagen.

Wer den Vogelsang heute besucht, findet die meisten ursprünglichen NS-Bauten noch vor, außerdem noch zusätzliche Gebäude, die die Belgier für ihren Truppenübungsplatz errichtet haben. Diese dürften schon bald der Geschichte angehören: „In zehn Jahren wird der Vogelsang ganz anders aussehen“, prophezeit Klaus Ring. Er muss es wissen: Seit der Öffnung des Geländes Anfang des Jahres ist Ring in der Standortentwicklungsgesellschaft Vogelsang zuständig für das wissenschaftliche Projektmanagement, oder, wie er es erklärt, „dafür, dass in der Entwicklung des Vogelsangs alles in der richtigen Spur bleibt“.

Kein Zweifel: Eine so prominente NS-Architektur lockt auch Rechtsradikale an, im Internet verabreden sie sich zu gemeinsamen Besichtigungstouren. Kann man das verhindern? „Das ist eine sehr grundsätzliche Frage“, wägt Klaus Ring ab: „Wir haben lange mit Vertretern ähnlicher Dokumentationszentren und Erinnerungsstätten gesprochen. Und sie waren alle einer Meinung: Wenn man das Gelände nicht für alle öffnet, zieht man erst recht die Besucher an, die man nicht dort haben möchte.“

Allerdings sind Regeln für das Gelände ganz klar: „Wir lassen uns nicht provozieren“, so Ring, „und wir brauchen hier nicht einmal ein Demonstrationsverbot: Dies ist ein Privatgelände, und wir untersagen alles in dieser Richtung.“ Die zahlreichen Referenten, die die Besucher über das Gelände führen, sind ausgebildet, um in ihren Gruppen auch deeskalierend diskutieren zu können. Doch ernstzunehmende Probleme hat es bisher nicht gegeben, weiß Ring zu berichten.

Ein anderes Problem macht ihm eher Kopfschmerzen: Es hat schon einige Beschwerden über die mangelhafte Beschilderung der steinernen Zeitzeugen gegeben. „Das muss sich dringend ändern. Im Moment stehen noch die Hinweisschilder aus der belgischen Zeit – und sie liefern nur eine rein kunsthistorische Betrachtung und ordnen nicht politisch ein“, sagt Ring. Eine umfangreichere, viersprachige Beschilderung ist in Arbeit. Das Besucherzentrum auf dem Vogelsang präsentiert im Moment noch recht provisorisch in einer Basisausstellung die drei Funktionen, die der Komplex einmal erfüllen soll: Ein NS-Dokumenationszentrum wird entstehen, eine Ausstellung für den noch jungen Nationalpark Eifel und eine touristische Ausstellung um „Eifel-Ikonen“.

Als besonders bewegend hat Klaus Ring bei der Öffnung im Januar 2006 den Besuch von Menschen aus der Region erlebt, die im August 1946 ihre Heimat verlassen mussten: „Das ist für viele Menschen ein ganz dunkles Kapitel ihrer Geschichte.“ Das Dorf Wollseifen in der Nähe des Vogelsangs wurde 1946 geräumt – seine Bewohner mussten innerhalb von zwei Wochen ihre Heimat verlassen, eine Hilfestellung oder Ersatzquartiere wurden von den britischen Besatzern nicht gestellt. So zählen die Wollseifener zu den wenigen Vertriebenen des Westens. Jetzt konnten sie die Reste ihres Heimatdorfes erstmals ohne Einschränkung besuchen – sicherlich eine deprimierende Erfahrung. Denn von Wollseifen ist nur ein Kirchturm erhalten geblieben. Die einzigen Häuser, die dort jetzt stehen, wurden von den Belgiern errichtet: Sie dienten zu Kampfübungszwecken.

Klaus Rings Vision zu einer künftigen Verwendung des Vogelsangs ist ein großes Ziel: „Wir könnten uns ein Zentrum vorstellen, in dem aus dem Geiste Europas junge Menschen zusammenkommen, um aus der Geschichte zu lernen.“ Ein Schulungszentrum also ganz in der Tradition seiner braunen Erbauer, nur unter anderen Vorzeichen – ist dies nicht ein wenig grotesk? „Die Frage stellen wir uns immer wieder,“ bestätigt Ring: „Darf man an diesem Ort so etwas unternehmen, dürfen hier Menschen so etwas wie Freude empfinden? Ich bin glücklich, wenn Besucher hierher kommen, sich der Auseinandersetzung zu stellen und das Gelände mit der Gewissheit verlassen, dass so etwas nie wieder passieren darf. Wer sich mit dem Vogelsang konfrontiert, weiß anschließend vielleicht den Wert unserer freiheitlichen Demokratie wieder ein bisschen mehr zu schätzen.“