Brüssel

Vorratsdaten: EU will Deutschland verklagen

Wie viele Daten darf der Staat aus Sicherheitsgründen speichern? Die Vorratsdatenspeicherung ist zum Synonym für Dauerkonfliktthemen in der Bundesregierung geworden. Ein Kompromiss ist weiterhin schwer denkbar. Das Ultimatum aus Brüssel ist inzwischen abgelaufen, Deutschland droht nun eine Klage auf Strafzahlungen in Millionenhöhe.
Wie viele Daten darf der Staat aus Sicherheitsgründen speichern? Die Vorratsdatenspeicherung ist zum Synonym für Dauerkonfliktthemen in der Bundesregierung geworden. Ein Kompromiss ist weiterhin schwer denkbar. Das Ultimatum aus Brüssel ist inzwischen abgelaufen, Deutschland droht nun eine Klage auf Strafzahlungen in Millionenhöhe. Foto: dpa

Im Dauerstreit zwischen Berlin und Brüssel um die Vorratsdatenspeicherung steht eine Klage gegen die Bundesregierung bevor. „Wenn Deutschland nicht einlenkt, wird es ein Vertragsverletzungsverfahren geben“, kündigte die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström am Donnerstag kurz vor Ablauf des EU-Ultimatums um Mitternacht an.

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Brüssel hatte der Bundesrepublik bis dahin eine letzte Frist eingeräumt, um die EU-Richtlinie national umzusetzen. Die Regierungskoalition ist jedoch zerstritten und übermittelte der EU lediglich einen Brief zum Diskussionsstand. Zieht die EU nun vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH), drohen Berlin laut dem Bundesinnenministerium Strafzahlungen von etwa 32 Millionen Euro. Die deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erhält unterdessen Rückenwind aus der deutschen Wirtschaft.

Deutschland hat die EU-Richtlinie zwar schon einmal in nationales Recht übertragen. Das Bundesverfassungsgericht kippte das Gesetz aber im März 2010 wegen zu schwacher Datenschutzklauseln. Seitdem streiten Union und FDP über eine Neuregelung. Die Justizministerin stellt sich quer, einer anlasslosen Datensammlung zuzustimmen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) pocht unterdessen auf die Umsetzung der EU-Regeln, die eine pauschale Speicherung der Telekommunikationsdaten von sechs Monaten vorsehen. „Wahr ist, wir brauchen auch im Interesse der Sicherheit unserer Bürger diese Mindestspeicherfristen“, unterstrich er jetzt in Luxemburg. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will Internet- und Telefonverbindungsdaten nur bei konkreten Anlässen speichern lassen und den Ermittlern bei Bedarf zur Kriminalitätsbekämpfung zur Verfügung stellen. Dieses „Quick-Freeze-Verfahren“ reicht aber weder Friedrich noch der EU-Kommission aus. Unionsfraktionsvize Günter Krings (CDU) machte der FDP am Donnerstag ein Kompromissangebot. Danach soll Berlin die EU-Richtlinie für einen befristeten Zeitraum von drei Jahren umsetzen und in der Zwischenzeit auf eine schnelle, datenschutzfreundliche Neuregelung der Richtlinie in Brüssel hinarbeiten.


„Deutschland ist nicht weniger sicher, weil wir keine Vorratsdatenspeicherung haben.“


Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)
„Deutschland ist nicht weniger sicher, weil wir keine Vorratsdatenspeicherung haben.“
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)
Foto: dpa

Unterdessen haben deutsche Wirtschaftsverbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Industrie- und Handelskammer (DIHK) einen Brief an die EU-Kommissarin geschrieben, in dem sie „eine europaweit dauerhaft gesicherte, gesetzliche Grundlage“ fordern, um zusätzliche Kosten für die Unternehmen zu vermeiden. In der Vergangenheit hätte die Umsetzung der Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung bereits zu Ausgaben in „mehrstelliger Millionenhöhe“ geführt. Die EU-Kommission selbst hegt sogar Bedenken gegen die Regelung. Wegen massiver Kritik hat sie Änderungen bis zum Sommer 2012 zugesagt, die etwa die Grundrechte stärker berücksichtigen sollen. Der Europäische Gerichtshof muss außerdem derzeit auf eine Klage Irlands hin klären, ob die geltende Richtlinie überhaupt mit EU-Recht vereinbar ist.

Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Hans-Peter Uhl, übt unterdessen weiter scharfe Kritik an der Justizministerin. Leutheusser-Schnarrenberger habe die Regelung zu keinem Zeitpunkt umsetzen wollen. Sie habe stattdessen immer klargemacht, dass sie „anlassloses Speichern von Daten für Teufelszeug hält“, sagte Uhl.

In Unionskreisen geht man davon aus, dass die Kanzlerin nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen ein Machtwort sprechen wird. „Merkel wird entscheiden, es ist nur eine Frage des Zeitpunkts“, ist Uhl überzeugt. Er erwartet, dass sich Deutschland vertragstreu zeigt und die EU-Richtlinie umsetzt. Leutheusser-Schnarrenberger hat sich aus seiner Sicht „völlig verrannt“. Nicht einmal in der FDP selbst stünden noch alle hinter der Ministerin.

Danach klingen solche Äußerungen allerdings nicht: Die innenpolitische Sprecherin der FDP, Gisela Piltz, weist im Gegenteil den Unionsvorschlag als „ungeeignet“ zurück, die Vorratsdatenspeicherung befristet auf drei Jahre einzuführen.

Auch der grüne Fraktionsvize Josef Winkler bezeichnet die EU-Regelung als einen „zu weitgehenden Eingriff in die Privatsphäre“. Der Bürger würde damit unter Generalverdacht gestellt.

Von unseren Korrespondentinnen Anja Ingenrieth und Rena Lehmann