Kaum ein Thema hat in den vergangenen zwei Jahren das Land so erregt und gespalten wie die Flüchtlingskrise, die 2015 ihren Höhepunkt fand, als angesichts des drohenden Massenelends auf der Balkanroute Angela Merkel die Grenze öffnete.
Das hatte auf der einen Seite wütende Angriffe auf die Kanzlerin vor allem von Rechts zur Folge, die bis zum Vorwurf des „Vaterlandsverrats“ reichten. Auf der anderen Seite löste die Ankunft Hunderttausender Flüchtlingen aber auch eine bis dahin nie da gewesene Welle der Hilfsbereitschaft aus. Eine neue Dimension bekam die Flüchtlingsdiskussion in der Silvesternacht 2015, als es am Kölner Hauptbahnhof, aber auch anderswo zu Übergriffen von Männern vorwiegend nordafrikanischer Herkunft gegenüber Frauen kam.
Ein gewichtigen Grund für die Bildung der gefürchteten Parallelgesellschaften sieht Flüchtlingshelferin Ilse Warth-Martini aus Birkenfeld in den langen Bearbeitungszeiten von Asylanträgen, die oft dadurch noch zusätzlich verlängert werden, dass gegen ablehnende Bescheide Widerspruch eingelegt wird.
Antje Lezius und Joe Weingarten sind sich – wie bei fast allen anderen Aspekten des Themas auch – darüber einig, dass eine Verkürzung der Wartezeiten dringend geboten ist. „Das ist ein Teil des Problems, dass zu spät etwas passiert“, unterstreicht Weingarten. Auch Lezius sieht die Notwendigkeit der Verkürzung der Wartezeiten, verweist aber auch auf die Situation von 2015, deren Nachwirkungen noch heute zu spüren seien.
„Das Amt für Migration, das für einen solchen Ansturm ja überhaupt nicht die notwendige Infrastruktur besaß, war mit der damaligen Situation total überfordert“, erklärt die Bundestagsabgeordnete. „Schließlich arbeiten dort auch nur Menschen. Aber was sollten wir machen? Die meisten Leute kamen zu uns auf der Flucht vor Krieg, Folter und Verfolgung. Aber es waren natürlich auch welche darunter, die keinen Anspruch auf Asyl hatten. Es kostet Zeit und Arbeit, die voneinander zu unterscheiden.“
Über die politische Notwendigkeit der damaligen Grenzöffnung ist man sich einig. Aber, so wendet Weingarten ein, sei es ein großer Fehler gewesen, damals so viele Menschen ins Land zu lassen, ohne sie ordnungsgemäß zu erfassen. „Dieses Problem wird uns noch einholen“, ist er sich sicher. „Das ist ja nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit problematisch, sondern es lässt die Leute auch jahrelang in Ungewissheit, was mit ihnen passiert.
Insgesamt hat es Innenminister de Maizière von Anfang an versäumt, für die notwendige personelle Ausstattung zu sorgen.“ Insgesamt, sind sich Lezius und Weingarten einig, habe die große Koalition aber das Beste aus der Situation gemacht. „In vielen Gemeinden, wie auch in Birkenfeld, wurde die Schließung von Aufnahmelagern für Asylbewerbern sogar bedauert“, betont Lezius die insgesamt große Akzeptanz, die sowohl die Flüchtlinge als auch die Politik der Bundesregierung bei den Bürgern genießen.
Das sieht Ilse Warth-Martini allerdings anders. „Erst gab es Willkommenskultur und Selfies, jetzt sind wir bei Abschiebung und Rückführung gelandet“, bedauert sie und meldet auch Zweifel an der strikten Handhabung des Abkommens Dublin III an, nach dem Flüchtlinge in das Land zurückgeführt werden, in dem sie erstmalig EU-Boden betreten haben. „Länder wie Italien oder Griechenland sind damit völlig überfordert“, ist sie überzeugt. „Die Menschen landen dort auf der Straße.“
Lezius und Weingarten bestehen dagegen auf der strikten Einhaltung des Abkommens. „Alle Länder haben Mindeststandards für Flüchtlinge, und vom Grundsatz her ist Dublin III in Ordnung“, unterstreicht Weingarten. „Auch Rückführungen sind wichtig. Sonst verlieren wir völlig den Überblick.“
Auch Lezius beharrt darauf, dass das Abkommen eingehalten wird. „Hier zeigt sich die EU als Staaten- und Wertegemeinschaft. Italien war ja schon überlastet, als Dublin III im Jahr 2013 beschlossen wurde. Bei dem Abkommen ging es ja gerade um eine Entlastung von Ländern wie Italien, indem eine gerechte Verteilung beschlossen wurde.“ Das Problem sei, ergänzt Weingarten, dass sich Deutschland an die Quote halte, andere Länder diese aber nicht erfüllten oder sogar – wie Ungarn oder Polen – die Aufnahme von Flüchtlingen völlig verweigern.
Lezius und Weingarten räumen ein, dass es bei der Rückführung von Flüchtlingen zu Härtefällen kommen kann, was im Einzelfall für die betroffene Person auch tragisch sein könne. „Das ist immer die Frage: Wo machen wir Ausnahmen?“, stellt Weingarten klar. „Wir dürfen da aber auch nicht zu naiv herangehen.“
So gebe es etwa eine große Anzahl junger Männer vom Balkan, die sich 2015 dem Flüchtlingstreck aus Ländern wie Syrien oder dem Irak anschlossen. „Bei unbegleiteten jungen Männern liegt die Dunkelquote bei etwa 40 Prozent. Da werden wir von vielen einfach belogen“, warnt der SPD-Kandidat. „Die Leute hier haben auch Ängste, die man ernst nehmen muss“, fügt Lezius hinzu. „Dafür haben wir eine Verantwortung. Ohne Akzeptanz der Flüchtlinge kann es auch keine Integration geben.“
Zweifel hat Ilse Warth-Martini daran, ob der Leistungsbezug von Flüchtlingen beim Jobcenter richtig angesiedelt ist. Sie kritisiert, dass die meisten Mitarbeiter in Jobcentern auf diese Klientel nicht vorbereitet seien und Jobcenter auch für Flüchtlinge zuständig sind, die gar nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden können, weil sie beispielsweise zu alt sind oder nur so lange in Deutschland bleiben wollen, bis die Lage in ihrem Heimatland sicherer geworden ist. Hinzu komme, so weiß die ehrenamtliche Flüchtlingshelferin aus eigener Erfahrung, dass es in den Jobcentern häufig zu Konflikten zwischen deutschen Leistungsempfängern und Flüchtlingen komme.
Weingarten sieht keine Alternative zur Ansiedlung des Leistungsbezugs bei den Jobcentern. „Das muss dort angesiedelt sein, die Integration in den Arbeitsmarkt ist eine der Hauptsäulen der Integration überhaupt.“ Und bei den Jobcentern habe man mit der Vermittlung auf den Arbeitsmarkt eben die meisten Erfahrungen, urteilt der Alsenzer.
„Die Intention der Ansiedlung dieser Aufgabe bei den Jobcentern vor Ort war es ja, die Leute auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen“, betont auch Antje Lezius. „Und wenn etwa jugendliche Flüchtlinge hier eine Ausbildung erhalten und dann später in ihr Heimatland zurückkehren, ist das die beste Entwicklungshilfe, die man überhaupt leisten kann.“ Jörg Staiber
Und das sagen die anderen Bundestagskandidaten zum Thema: