Friedberg/Rhein-Lahn

75 Jahre Evangelische Kirche in Hessen und Nassau: So wurde der Jubiläumstag gefeiert

Vor 75 Jahren wurde die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau gegründet. Dieses Jubiläum wurde unter anderem mit einem Gottesdienst in der Stadtkirche Friedberg gefeiert.
Vor 75 Jahren wurde die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau gegründet. Dieses Jubiläum wurde unter anderem mit einem Gottesdienst in der Stadtkirche Friedberg gefeiert. Foto: Rolf Oeser

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat am Samstag an ihrem Gründungsort Friedberg ihr 75-jähriges Bestehen mit einem Jubiläumstag gefeiert. Auch Vertreter aus dem Dekanat Nassauer Land waren präsent. In einer Pressemitteilung berichtet die EKHN von den Feierlichkeiten.

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Der amtierende EKHN-Kirchenpräsident Volker Jung sprach sich anlässlich des 75. Jahrestags der Gründung gegen eine Selbstbezogenheit der Kirche aus. Es sei wichtig, „immer wieder danach zu fragen, was unsere Aufgaben in dieser Welt sind und wie wir für andere und diese Welt da sein können“, sagte er am Samstag in einem Jubiläumsgottesdienst in Friedberg. Kirche müsse sich dafür einsetzen, „dass Menschen weiter auf dieser Erde leben können – friedlich und gerecht“. Als Beispiele nannte er das Eintreten für Frieden oder gegen den Klimawandel.

Die hessen-nassauische Kirche stehe zugleich für Vielfalt und Toleranz, erklärte Jung. „Dass es gut ist, in der Vielfalt füreinander da zu sein und einander zu dienen, ist und bleibt eine tägliche Aufgabe“, sagte er. Dies sei zugleich mit dem Anspruch verbunden, „dass Menschen in unserer Kirche nicht ausgeschlossen werden oder ihnen gar Schaden zugefügt wird“. Wichtige Aufgaben heute seien deshalb auch Prävention und Inklusion.

Jung ging auch auf die Zukunftsperspektiven einer Kirche mit weniger Mitgliedern ein, in der das „Miteinander von Ehrenamt und Hauptamt und von den unterschiedlichen Berufen“ eine noch zentralere Rolle spielten. „Unsere Kirche lebt im Miteinander der verschiedenen Ämter und Dienste – auf allen Ebenen, in der praktischen Arbeit und im Dienst der Leitung. Das ist ein guter Weg, aber dieser Weg muss immer wieder neu und bewusst beschritten werden“, so Jung.

Nach Worten der Präses der hessen-nassauischen Kirchensynode, Birgit Pfeiffer, „ist die EKHN auch nach 75 Jahren eine junge und dynamische evangelische Kirche, die eine große Vielfalt der Glaubensformen und Lebensformen vereint und sich engagiert in gesellschaftliche Debatten einbringt“. Die Gründer – „leider damals fast nur Männer“ – hätten zudem den „Grundstein für eine von Haupt- und Ehrenamt gemeinsam nach demokratischen Spielregeln geleitete Kirche gelegt“.

Die „ausgeprägte synodale Kultur“ Hessen-Nassaus hat sich nach Ansicht Pfeiffers bis heute bewährt. Sie gab gleichzeitig zu, dass dies „manchmal anstrengend, aber immer offen und sehr verantwortungsbewusst“ geschehe. Es sei bemerkenswert, dass alle Leitungsämter von der Synode auf Zeit gewählt seien. So könne „immer wieder Rückbesinnung und Aufbruch“ zugleich erfolgen.

Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, gratulierte im Jubiläumsgottesdienst „ihrer jüngeren Schwesterkirche“ sehr herzlich zum 75. Geburtstag. Wie bei vielen Familienbeziehungen gehe es immer wieder „ziemlich verschieden“ zu, führte die Bischöfin in ihrem Grußwort aus: Mal komme man sich kulturell fremd vor, mal sehr vertraut. Manche Kooperation funktioniere gut und mühelos, anderes brauche viel Energie. Aber wie in vielen Familien gelte: „Wenn es hart auf hart kommt, dann halten wir zusammen, sei es nun eine Pandemie, ein Krieg oder Gegenwind aus der Politik oder von anderen Gruppierungen. Dann gibt es eingeübte kurze Wege und gemeinsame Sprachrohre.“

Auch künftig gelte es, über gemeinsame Aufgaben nachzudenken, sich mit Ideen und vorhandenen Projekten zu inspirieren und sich als „gereifte Damen miteinander auf den Weg machen zu können zum gemeinsam ,Kirche sein' in dieser Welt“. Ihrer Schwesterkirche wünschte Bischöfin Hofmann „viele weitere Jahre mit Vitalität und Kreativität, mit Sichtbarkeit und Hörbarkeit in der Kommunikation des Evangeliums“.

Ein bunter Gruß von den evangelischen Kitas. Kinder-Einrichtungen im Nassauer Land hatten Blumen gebastelt, die als Erinnerung und Hoffnungszeichen verteilt wurden.
Ein bunter Gruß von den evangelischen Kitas. Kinder-Einrichtungen im Nassauer Land hatten Blumen gebastelt, die als Erinnerung und Hoffnungszeichen verteilt wurden.
Foto: Rolf Oeser

Der Bischof des Bistums Mainz, Peter Kohlgraf, überbrachte die Grüße der katholischen Kirche und bezeichnete die EKHN als „junge Kirche“, der er wünsche, weiter jung zu bleiben. Dies bedeute, „offen und neugierig für die Welt, begeisterungsfähig, auch leidenschaftlich in ihrem Zeugnis für die Botschaft von Jesus und in der Liebe zum Nächsten“ zu bleiben. Wichtig sei es für ihn zudem, „dass wir uns als Christen unterschiedlicher Konfessionen nähergekommen sind und dass wir heute in vielen Bereichen gemeinsam unterwegs sind, gehört sicherlich zu den großen und guten Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte“. Er danke für das gute Zusammenwirken auf allen Ebenen, in den Gemeinden genauso wie auf der Leitungsebene.

Auch der Hessische Ministerpräsident Boris Rhein übermittelte in einem Brief Grüße an die hessen-nassauische Kirche. „Die Welt ist im Umbruch, und auch wir in Hessen stehen vor großen Aufgaben, die wir nur gemeinsam bewältigen können“, schrieb er. In Krisenzeiten suchen die Menschen nach Ansicht des Ministerpräsidenten Halt. Viele fänden ihn dabei im Glauben. Die EKHN bezeichnete er als „unverzichtbaren Partner, um die Herausforderungen zu bewältigen“. „Gemeinsam pflegen wir einen regelmäßigen Austausch, er ist das Fundament unseres vertrauensvollen und konstruktiven Verhältnisses“, so Rhein weiter. Er danke „allen Beteiligten für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und die wichtigen Impulse“, so der Regierungschef.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer übermittelte in einer Grußbotschaft ebenfalls Glückwünsche zum Jubiläum. Sie bezeichnete die EKHN als „eine junge Kirche mit tiefen protestantischen Wurzeln“. Sie reichten Jahrhunderte zurück, wie die Veranstaltungen rund um das Reformationsjubiläum 2017 eindrücklich gezeigt hätten. Inmitten der Trümmer des Zweiten Weltkriegs und nach dem Zivilisationsbruch der Schoa hätten die damals Verantwortlichen aus dem „verordneten Zusammenschluss dreier selbstständiger Kirchen durch die Nationalsozialisten eine offene, demokratische und zukunftsfreudige Gemeinschaft entwickelt“. Nach Worten Dreyers stehe die EKHN mit Gottvertrauen „mitten in der Gesellschaft“ und sei für die Menschen da.

Die EKHN hatte am Samstag zunächst in einem großen Jubiläumsgottesdienst in der Friedberger Stadtkirche mit rund 500 Gästen aus Politik, Gesellschaft und der weltweiten Ökumene ihrer Anfänge vor 75 Jahren gedacht. Neben dem Bischof des Bistums Mainz, Peter Kohlgraf, und der Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, waren unter anderem die Bischöfin der Evangelischen Kirche in Baden, Heike Springhart, die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst und die Kirchenpräsidentin der Evangelisch-Reformierten Kirche, Susanne Bei der Wieden, zu Gast.

Danach begann in der Friedberger Stadthalle ein Festnachmittag, bei dem sich Hessen-Nassaus Kirchenregionen bei einem fast 20 Punkte umfassenden Programm mit dem Moderatoren-Duo Simone Kienast (HR) und Linus Kraus (SWR) präsentierten. Unter anderem standen der evangelische Liedermacher Clemens Bittlinger aus dem Odenwald oder die Band Shineaway aus dem Vordertaunus auf der Bühne. Das Motto des Nachmittags: „Erzähl mir mehr!“.

Den Tag in Friedberg schloss ein Erzähl-Konzert des christlichen Liedermachers Siegfried Fietz über den ersten hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller (1892–1984) ab. Motto des musikalischen Porträts: „Welch ein Leben!“ Am Original-Gründungsort der EKHN, der Friedberger Burgkirche, trat er auf. Besucherinnen und Besucher konnten sich dort in einer Ausstellung auch über die bewegte Geschichte Hessen-Nassaus informieren. red

1,4 Millionen Mitglieder

In den Nachkriegswirren trafen sich am 30. September 1947 Delegierte aus den Regionen Hessen-Darmstadt, Nassau und Frankfurt zu einem „Kirchentag“. Es entstand in Friedberg die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Erster Kirchenpräsident wurde der NS-Widerstandskämpfer, U-Boot-Kommandeur und spätere Pazifist Martin Niemöller. Heute hat die hessen-nassauische Kirche mehr als 1,4 Millionen Mitglieder. Sie erstreckt sich von Biedenkopf im Norden über das Rhein-Main-Gebiet bis Neckarsteinach im Süden. Die EKHN umfasst auch Teile von Rheinland-Pfalz etwa entlang des Rheins und der Lahn sowie im Westerwald. Die Feier am Samstag ist als Aufzeichnung auch auf der Internetseite www.ekhn.de zu sehen.