Wahl in Großbritannien: Theresa May kämpft um ihr Amt
Als sie die Neuwahl überraschend ankündigte, war May sichtlich nervös. Das ist eigentlich eher untypisch für die 60-jährige Politikerin. Ob es um die Scheidung von der Europäischen Union oder um den Ärger mit den nach Unabhängigkeit strebenden Schotten geht – meistens gibt sie sich typisch britisch: Keep a stiff upper lip. Bewahre die Haltung!
Kritiker werfen Theresa May vor, höchst nachtragend zu sein
Kritiker werfen ihr hingegen vor, eiskalt zu sein. Die Journalistin Rosa Prince zeichnet in ihrer Biografie „Theresa May. Die rätselhafte Premierministerin“ das Bild einer Politikerin, die schon als Kind Regierungschefin werden wollte und sehr nachtragend sei. Sie handele nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Wer ihr in die Quere komme, könne noch Jahre später seinen Posten verlieren. Gefürchtet sei ihr Spruch: „Ich bin sehr enttäuscht.“ Mitarbeiter schätzen aber auch ihre Unaufgeregtheit und Beharrlichkeit. Die Frau scheint schwer einzuordnen zu sein.
Seit ihrem Amtsantritt vor knapp einem Jahr zeigt sich die Premierministerin ganz besonders kampfbereit. Mantrahaft wiederholt sie Phrasen wie „Brexit heißt Brexit“. Regelrecht bissig wurde sie, als pikante Details eines Treffens mit dem Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, durchsickerten. Juncker werde schon sehen, dass sie eine „verdammt schwierige Frau“ sei, sagte May anschließend säbelrasselnd. Auch im Kampf gegen den Terror gibt sie sich entschlossen. Sie kündigte an, den radikalen Islamismus aus der britischen Gesellschaft „auszurotten“. Zugleich unterstützte die Regierungschefin gezielte Schüsse der Polizei mit Tötungsabsicht auf Angreifer.
Doch in den vergangenen Monaten wurde die 60-Jährige auch oft als Zauderin wahrgenommen, die rhetorisch geschickt wenig Inhalt in viel Verpackung hüllt – gerade beim heiklen Thema Brexit. So erschien ein Foto von ihr auf dem Titelblatt des Magazins „Economist“. Überschrift: „Theresa Maybe“ – „Theresa Vielleicht“.
Auf Schleudersitz Innenministerium hat sie erstaunlich lang ausgeharrt
Sie hänge die Fahne nach dem Wind, um politische Lager zu besänftigen und für sich das Beste herauszuholen. „Theresa May sagt in Interviews völlig unterschiedliche Dinge“, kritisierte Simon Hix von der London School of Economics and Political Science. „Mal tritt sie für einen harten Brexit ein, dann für einen etwas weicheren“, sagte der Politikwissenschaftler. Zuerst schloss sie eine Neuwahl aus, jetzt müssen die Briten doch vorzeitig ihre Stimme abgeben. Von 2010 bis 2016 war May Innenministerin in zwei Regierungen unter Premierminister David Cameron und hatte schwierige Themen wie Einwanderung, Terrorabwehr, Polizei und Kindesmissbrauch zu verantworten. Das Amt könnte ihr jetzt angesichts der jüngsten Terroranschläge noch zum Verhängnis werden. Denn seit 2010 seien 20.000 Arbeitsplätze bei der Polizei eingespart worden, rechnet Jeremy Corbyn von der oppositionellen Labour-Partei jetzt vor und forderte May zum Rücktritt auf. Ihre Befürworter hingegen halten ihr zugute, dass sie auf dem Schleudersitz als Innenministerin länger als viele Vorgänger ausharrte.
Und auch in Sachen Brexit lässt die Premierministerin für viele eine klare Linie vermissen. Im Anlauf zum Referendum schlug sie sich auf die Seite von Camerons Pro-EU-Lager, blieb aber EU-kritisch. Auch hier: Sie wollte es sich mit keiner Seite verderben. Das machte sie zur idealen Kompromisskandidatin für die zerstrittenen Lager der Konservativen.
May studierte Geografie in Oxford und arbeitete für die englische Notenbank. Sie machte schon früh Lokalpolitik und erklomm Sprosse für Sprosse die Karriereleiter. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sie einige Gemeinsamkeiten. Beide sind Pastorentöchter und lang verheiratet, aber kinderlos. Und wie die Kanzlerin redet May wenig über sich selbst. Mit ihrem strengen Auftreten erinnert die Premierministerin manchmal auch an ihre einzige weibliche Vorgängerin, an die Eiserne Lady Margaret Thatcher. Thatchers Markenzeichen waren die Handtaschen. Jeder Brite versteht den Begriff „handbagging“ – die Bezeichnung für den Moment, in dem ein männlicher Politiker von der Eisernen Lady verbal eins übergezogen bekam.
Mays Markenzeichen sind ausgefallene Schuhe. Sie bevorzugt dabei knallige Farben und Leopardenfellmuster. Auch beim ersten Treffen mit Angela Merkel entschied sie sich für Wildtiermuster, bei einem Presseempfang in London für Ballerina-Schuhe mit pinken Kussmündern. Oft wird die Auswahl ihres Schuhwerks politisch gedeutet – mal verkörpert sie demnach Aufbruchstimmung, mal Angriffslust. In schwarzen, oberschenkellangen Lackstiefeln empfing sie im Jahr 2015 den mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto und machte vor der anwesenden Queen einen Hofknicks. „Ihr Stil ist eine Mischung aus strenger Schuldirektorin und Domina“, lästerte damals eine Boulevardzeitung.
Die Rolle des Stilberaters übernimmt ihr Ehemann Philip. Die pakistanische Politikerin Benazir Bhutto hatte die beiden einander in einer Disco vorgestellt. Es war „Liebe auf den ersten Blick“, wie das Paar versicherte. Ihr Philip begleite sie beim Shoppen und habe ein gutes Auge für Accessoires, sagte May. Auch Politisches erörtert sie mit ihm: Der Entschluss zur Neuwahl sei endgültig bei einem Wanderurlaub mit Philip gefallen, berichtete May.
Silvia Kusidlo