Parteiinterner Druck wächst: Nahles in Not

Für SPD-Chefin Andrea Nahles sind es nur ein paar „einzelne Stimmen“, die sich laut zum Maaßen-Debakel und einem möglichen Koalitionsbruch zu Wort gemeldet haben. Andere Genossen sehen einen Flächenbrand.  Foto: dpa
Für SPD-Chefin Andrea Nahles sind es nur ein paar „einzelne Stimmen“, die sich laut zum Maaßen-Debakel und einem möglichen Koalitionsbruch zu Wort gemeldet haben. Andere Genossen sehen einen Flächenbrand. Foto: dpa

Die Damen umarmen sich sogar. SPD-Chefin Andrea Nahles und eine ihrer derzeit schärfsten Kritikerinnen, die bayerische SPD-Vorsitzende Natascha Kohnen, geben sich betont freundlich, als sie im Landtag in München aufeinandertreffen. Doch die Stimmung passt nur bedingt zur Lage: Nahles muss um den SPD-Vorsitz und die Große Koalition kämpfen, Kohnen gegen ein SPD-Debakel bei der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober.

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Es ist der Versuch von Normalität und gespielter Harmonie. Aber die Not von Nahles ist groß wegen eines anderen Bayern, CSU-Chef Horst Seehofer, der sie politisch vorgeführt hat. Das zeigt sich bei einer Pressekonferenz.

Nahles will vom Fall Maaßen ablenken und redet über die Wohnungsbauoffensive, am Freitag gibt es einen entsprechenden Gipfel bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin. Aber wie glaubwürdig ist die SPD-Chefin, wenn sie ausgerechnet den in der Regierung mit dem Riesenthema Wohnen und Bauen beauftragten Staatssekretär Gunther Adler geopfert hat? Damit ein von der SPD für ungeeignet gehaltener Geheimdienstchef stattdessen zum Staatssekretär befördert werden kann. Der nun 2580 Euro zusätzlich bekommt und in der Besoldung auf 14.157 Euro im Monat steigt, obwohl die SPD ihm AfD-Nähe und mangelnden Einsatz gegen rechtsextreme Tendenzen unterstellte.

Nahles versucht, sich auf Seehofer einzuschießen, der sie eiskalt ausgetrickst hat. Sie bekam Maaßens Ablösung als Geheimdienstchef – gegen Seehofers Willen. Er revanchierte sich und versetzte Adler, wichtigster Fachmann der Regierung, zum Entsetzen der Wohnungs- und Immobilienbranche in den Ruhestand, damit Platz für Maaßen geschaffen wird. Dieser soll künftig den Bereich Innere Sicherheit im Ministerium stärken. Einen eigenen Bau-Staatssekretär gibt es erst mal nicht. Adler hat auch noch ein SPD-Parteibuch – Seehofer hat ihn trotzdem wegen der Expertise zunächst nach Amtsübernahme behalten. Er konnte diese Rochade gegen Nahles durchsetzen, weil jeder Minister über die Besetzung seiner Staatssekretäre selbst entscheiden darf.

Diese zusätzliche Demütigung brachte in der SPD das Fass zum Überlaufen – es wird viel telefoniert. Ein wichtiger Genosse warnt vor einer gefährlichen Eigendynamik, zumal bei einer Neuwahl die AfD vor der SPD landen könnte: „Aus der Regierung wegen Maaßen rauszugehen, ist Selbstmord aus Angst vor dem Tod.“ Wie sehr diese brisante Lage die Koalition gefährdet, wird am Verhalten Merkels deutlich – die die Eskalation nicht verhindern konnte und sich im Konflikt mit Seehofer Machtlosigkeit vorhalten muss. Am Rande eines informellen EU-Gipfels in Salzburg sagt sie, dass sie die Arbeit Adlers sehr schätze und man sich darauf verständigt habe, dass er sehr schnell eine „angemessene Position“ bekommen solle. Es ist ungewöhnlich, dass Merkel im Ausland von sich aus Stellung zur Innenpolitik nimmt.

In der SPD heißt es, Nahles habe einen schweren Fehler gemacht. Sie und Vizekanzler Olaf Scholz wollten alles besser als Sigmar Gabriel und Martin Schulz machen. Jetzt haben sie eine für die SPD brandgefährliche Krise ausgelöst. „Nahles hätte beim Treffen im Kanzleramt nach Seehofers Vorschlag aufstehen müssen: ,Vielen Dank, liebe Leute, das muss ich erstmal mit meiner Partei beraten‘“, sagt ein mit solchen Verhandlungen vertrauter SPD-Mann. „Dann hätte sie sich vor dem Kanzleramt vor die Kameras stellen und den Seehofer-Vorschlag einfach öffentlich machen müssen. Dann hätte sich aller Unmut über Seehofer entladen, und die Idee der Beförderung wäre tot gewesen.“ So verwandelte Nahles einen Sieg, den Rauswurf Maaßens, in eine schwere Niederlage für die SPD.

Im Willy-Brandt-Haus quillt laut SPD-Leuten bei Generalsekretär Lars Klingbeil das Postfach mit Protestschreiben über. Nahles sieht dagegen keine größere Unruhe in ihrer Partei und steht zu der von ihr abgenickten Lösung. Es gebe lediglich „einzelne Stimmen, die sich laut zu Wort gemeldet haben“. Aber das seien die, die immer schon gegen die Große Koalition waren. Eine Spitze gegen Juso-Chef Kevin Kühnert. Ihre Gegner sehen sie in einer anderen Realität, denn die Basis ist komplett verstört.

Nahles könnte nun irreparabel beschädigt sein: Ihr Image im Volk ist ohnehin schlecht, und sie wurde nur mit 66 Prozent zur ersten Frau an der Spitze der SPD gewählt. Ob sie am Ende sogar selbst über den Fall Maaßen stolpert, kann sich schon am Montag entscheiden. Dann wird der 45-köpfige Vorstand über den Maaßen-Beschluss und die Zukunft der Koalition beraten.

Wie über die Maaßen-Beförderung abgestimmt wird

Die bayerische SPD fordert, die SPD-Minister im Bundeskabinett sollten die Ernennung von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen zum Innenstaatssekretär verhindern. Doch das können sie gar nicht. Denn die Bundesregierung fasst ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit.

Die SPD stellt aber nur sechs der 16 Kabinettsmitglieder. Selbst wenn die SPD-Minister mit Nein stimmen sollten, hätte das keinen Effekt. Denn die Kabinettssitzungen sind vertraulich. Über die Redebeiträge Einzelner und über das Stimmenverhältnis darf kein Minister in der Öffentlichkeit sprechen – es sei denn, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erteilt ihm dafür ausnahmsweise die Erlaubnis.
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