Gewerkschafter: Jede Schließung ist auch sozialer Verlust

Rheinland-Pfalz – Der Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Klaus-Peter Hammer, appelliert an die Gemeinden, die Grundschule so lange wie möglich im Dorf zu lassen. Dennoch schließt er Schulsterben in ländlichen Regionen nicht aus. Im Interview mit unserer Zeitung verteidigt er die kleine Schule als sozialen Ort.

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Die Grundschülerzahlen sinken bis 2020 um zehn Prozent. Haben wir dann auch 100 Grundschulen weniger?

Das kann sein, wird aber regional stark unterschiedlich ablaufen. Im Landkreis Südwestpfalz zum Beispiel mit seinem relativ starken Bevölkerungsrückgang läuft schon eine Konkurrenz darum, welcher Ort seine Grundschule behalten kann.

Haben Sie Verständnis dafür, wenn eine Verbandsgemeinde sich die Schule nicht mehr leisten kann?

Bei der heutigen Finanzlage der Kommunen kann ich das nachvollziehen. Aber bei diesen Überlegungen sollten die Verantwortlichen sich klarmachen, was eine Schulschließung für die Gemeinde bedeutet. Manche Eltern werden dann nicht mehr dorthin ziehen. Außerdem sollten Kinder nicht schon im frühen Schulalter durch die Gegend gekarrt werden.

Welche Schulwegdauer ist für kleine „Fahrschüler“ noch zumutbar?

Länger als eine halbe Stunde dürfte es auf keinen Fall sein. Rheinland-Pfalz ist nicht Finnland: Auf einem Berliner Schulkongress erzählte ein Kollege aus Finnland, dass dort auch junge Schüler länger als eine Stunde unterwegs sind.

Welche Folgen haben Schulschließungen?

Viel kulturelles Vereinsleben findet in der Schule statt, von Aufführungen über Konzerte bis zu Sportveranstaltungen. Die Schule als sozialer Ort fällt dann weg. Außerdem: Für die Bildungsbiografie ist die frühe Lernerfahrung am Wohnort besonders wichtig, weil sich dabei soziale Kontakte und Netzwerke entwickeln.

Eine der kleinsten Schulen im Schulaufsichtsbezirk Koblenz hat 32 Schüler. Gibt es eine Untergrenze?

Da muss man flexible Lösungen finden. 32 sind natürlich wenig, aber wenn andere Grundschulen weit weg sind, kann es sinnvoll sein, die Schule zu erhalten. Wichtig ist aber, dass Schulen in einer Region pädagogisch zusammenarbeiten, damit nicht an jeder Schule zwei Lehrkräfte im eigenen Saft schmoren.

Kleine Schulen mit Kombiklassen verlangen den Lehrkräften viel ab: Sind sie überfordert?

Ich kann verstehen, dass es schwierig ist, wenn man bisher noch keine Kombiklassen unterrichtet hat. Wenn man Kombiklassen einrichtet, muss man die Lehrer vom Unterricht entlasten, damit sie sich entsprechend weiterbilden und in der Region vernetzen können. Schon die Lehrerbildung muss besser auf Kombiklassen vorbereiten. Auf der anderen Seite weiß man inzwischen, dass Kombiklassen ihren besonderen Wert haben, weil die Kleinen von den Größeren lernen und die Großen beim Lehren lernen. Es gibt Schulen, die haben bewusst jahrgangsübergreifende Klassen gebildet, obwohl sie es von den Schülerzahlen her nicht mussten. Das war anfangs anstrengend, aber es hat sich bewährt.

Im Saarland hat die Landesregierung ab 2005 innerhalb von vier Jahren 80 von 260 Schulen dichtgemacht.

Das war eine falsche Entscheidung. Eine Landesregierung ist gar nicht in der Lage, alle Faktoren zu berücksichtigen, die vor Ort Bedeutung haben. Deshalb muss die Entscheidung wie in Rheinland-Pfalz bei den Kommunen liegen.

Was sollten die Kommunen bedenken?

Wohnen und Leben im ländlichen Raum muss attraktiv bleiben. Strukturpolitisch kann eine Schulschließung auch zur Folge haben, dass der eine oder andere Betrieb sich gar nicht erst ansiedelt. Ich appelliere an die Kommunen, sich das genau zu überlegen, denn: Wenn eine Schule geschlossen ist, bleibt sie auch zu.

Die Fragen stellte Claudia Renner