Bistum Trier strukturiert sich neu – Antworten von Generalvikar Ulrich Graf von Plettenberg auf drängende Fragen

Das Bistum Trier verändert derzeit sein Gesicht in einer Radikalität, die manche verunsichert, manchen Angst und manche wütend macht, manche aber auch mit Hoffnung und gar Aufbruchstimmung erfüllt. In einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem Kirche immer weniger wichtig ist, stellen die Verantwortlichen der Kirche irgendwann fest: Die Welt hat sich verändert, es gibt zu wenige Priester – es kann nicht mehr so weitergehen wie bisher.

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Der Trierer Bischof Stephan Ackermann berief deshalb eine Synode ein, ein Treffen von Priestern und Nichtpriestern aus dem ganzen Bistum, die jahrelang der Frage nachging: Wie kann die Kirche der Zukunft aussehen? Die Antwort der Synode: Die Kirche der Zukunft lebt nur noch, wenn die Gläubigen selbst mit anpacken – und zwar deutlich mehr als bisher. Und: Die Kirche der Zukunft darf nicht mehr so fokussiert auf Priester sein, wie das bisher der Fall war – es gibt ja auch viel zu wenige von ihnen.

Dazu wurde eine Reform beschlossen: Alle bestehenden Pfarreien und Pfarreigemeinschaften werden aufgelöst, und stattdessen werden 35 pastorale Räume – „Pfarreien der Zukunft“ genannt – installiert mit jeweils einem Pfarrort. Dort wird der Pfarrer angesiedelt sein, und dort wird die Verwaltung mit Pfarrbüro gebündelt.

Die Ankündigung dieser Reform, die bis 2020 umgesetzt werden soll, hat viele Fragen aufgeworfen. Im exklusiven Gespräch mit Generalvikar Ulrich Graf von Plettenberg gehen wir den drängendsten nach.

Welche Kirche wird Pfarrkirche, und was bedeutet das für die anderen Kirchen? „Die Rolle und Bedeutung einer Pfarrkirche in den weiten Räumen unserer zukünftigen Pfarreien muss erst noch rechtlich geklärt werden“, sagt der Generalvikar. „Wie die Kirchen in den Pfarreien der Zukunft dann im Einzelnen genutzt werden, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Bei der Belebung der Kirchen kommt es jedenfalls wesentlich auf die Gläubigen am Ort an. Gottesdienst wird nicht erst dann gültig, wenn ein Priester dabei ist.“

Drohen Kirchenschließungen?
Das haben die Gläubigen nicht zuletzt selbst in der Hand. „Diese Entscheidung wird weniger von oben als vielmehr von unten getroffen. Wenn die Leute ihre Kirchen am Ort nicht mehr selbst durch ihr Gebet beleben, dann wird es schwierig“, sagt Plettenberg. „Außerdem braucht es Menschen, die sich mit ihrer Kirche identifizieren und sich für den baulichen Unterhalt einsetzen.“ Es gibt keinen Zeitplan, bis wann sich entscheidet, ob eine Kirche aufgegeben wird oder nicht. Die Pfarreien der Zukunft werden wie bisher mit den zugewiesenen Mitteln haushalten müssen. „Sie müssen schauen, wie sie das Geld gerecht aufteilen und welche pastoralen Konzepte sie bedienen. So werden sich Schwerpunkte ausbilden.“

Wer leitet die Pfarrei der Zukunft?
„Wir brauchen 35 Leitungsteams mit jeweils einem leitenden Pfarrer“, so Plettenberg. „Ich habe mit Mitbrüdern gesprochen, die sich nicht vorstellen können, so große Einheiten zu leiten. Andere sehen es als reizvolle Herausforderung.“ Wichtig ist, dass der Pfarrer kein Einzelspieler ist: Neben dem Priester wird es zwei weitere Hauptamtliche geben, die das Leitungsteam bilden. Ehrenamtliche können es ergänzen. „Jeder wird seine Aufgabenbereiche haben und in Absprache mit den anderen seine Entscheidungen treffen.“

Wer hat am Ort das Sagen?
Die Hierarchie soll sehr flach gehalten werden, sagt der Generalvikar. „Wer am Ort ist – sei es ein Priester, ein Diakon, ein Hauptamtlicher oder ein ehrenamtlicher Laie – und wer Verantwortung übernimmt, der soll auch eigenständig arbeiten dürfen. Natürlich sollen sie sich in ein Gesamtkonzept einfügen – deshalb brauchen wir eine enge Kooperation innerhalb der Pfarrei der Zukunft.“

Es soll lokale Teams geben, die das Glaubensleben aktiv halten sollen. Wie bilden die sich?
„Im Moment haben wir überall genügend Hauptamtliche, also Priester, Pastoral- und Gemeindereferenten und Diakone. Diese können die Teams aufbauen, koordinieren und Präsenz zeigen“, sagt Plettenberg. „Und sie sollen das Wachsen von unten fördern. Das wird die neue Aufgabe der Hauptamtlichen: zu schauen, wo Gläubige sind, die Freude haben, selbst etwas zu entwickeln und aufzubauen. Dann sollen die Hauptamtlichen ihnen das nicht abnehmen und es selbst machen, sondern sie sollen diese Aktiven fördern, schulen und aufbauen, damit sie ihre Idee umsetzen können.“

Wird der Beerdigungsdienst auch von Laien übernommen?
Ja, sagt der Generalvikar. Im Moment gibt es schon hauptamtliche Laien, die den Beerdigungsdienst übernehmen. „Meist sind es Pastoral- und Gemeindereferenten mit einer Zusatzqualifikation. Neu wird hinzukommen, dass auch vermehrt ehrenamtliche Laien eingesetzt werden.“

Wo wird es in Zukunft die Erstkommunion und Firmung geben?
Das hängt davon ab, was sich in den jeweiligen Orten entwickelt, sagt Plettenberg. Erstkommunionen und Firmungen können in unterschiedlichen Kirchen stattfinden. „Ich kann mir durchaus auch vorstellen, dass die Erstkommunion oder die Firmung samt der Vorbereitung in einer Schule durchgeführt wird, wenn es dort ein entsprechendes Engagement gibt. Wichtig ist, dass diese aufkeimenden Ideen, die ja durchaus auch schon heute vorhanden sind, von den Hauptamtlichen unterstützt und begleitet werden.“

Wie wichtig werden die Ehrenamtlichen sein?
Sehr wichtig. „Kürzlich habe ich mit jemandem gesprochen, der sagte: ,Die Erstkommunionvorbereitung muss von einem Hauptamtlichen geleitet werden. Natürlich können alle sich als Katecheten einbringen, aber die Verantwortung muss ein Hauptamtlicher haben.' Das sehe ich nicht so“, sagt der Generalvikar. „Ich kenne aus meinem eigenen Erfahrungsbereich genügend ehrenamtliche Laien, die das hervorragend können. Und ich weiß, dass das viele gern tun würden, wenn man es ihnen zutraut.“

Was passiert mit den Festangestellten – den Küstern, den Pfarrsekretärinnen oder Organisten?
In den Pfarrorten soll es das Pfarrbüro für die gesamte Großpfarrei geben. Nur dort? „Das ist noch offen“, sagt der Generalvikar. Er kann sich durchaus vorstellen, dass bei Bedarf auch kleinere Zweigstellen in der Fläche bleiben. „Wir werden auf alle Angestellten zugehen“, sagt Plettenberg. „Es muss niemand Angst um seinen Arbeitsplatz haben, weil wir ja nicht weniger Arbeit haben werden. Allerdings werden viele flexibler, vielleicht auch mobiler werden müssen.“

Was passiert mit den Dekanaten?
Die 32 Dekanate in der jetzigen Form werden sinnlos. „Ob es in Zukunft eine mittlere Ebene zur Unterstützung der Pfarreien der Zukunft geben wird, das müssen wir abwarten“, sagt der Generalvikar. Was wird aus den Dechanten? „Die Karten werden alle neu gemischt.“

Glaubensleben ohne Priester – geht das überhaupt?
„In den vergangenen Jahrzehnten war das Leben in den Pfarreien sehr stark auf den Priester ausgerichtet. Es gab genügend Priester, und die Pfarreien waren überschaubar. Unter den heutigen Umständen geht das nicht mehr“, sagt Plettenberg. „Ich habe als Pfarrer versucht, viel abzugeben und zu delegieren. Aber sobald ich als Pfarrer auftrat, sei es im Pfarreienrat oder wo auch immer, haben alle sofort auf mich geschaut. ,Mach du das, du hast das gelernt, du bist der Spezialist.' Aber wenn ich mich zurückgezogen habe und gesagt habe: ,Ich trau euch das zu', dann ist es doch gelaufen. Diesen Schritt zurück, den müssen wir Hauptamtlichen jetzt lernen. Wir müssen uns zurücknehmen und glauben, dass auch andere etwas bewegen können.“

So entstehen nun Ängste: Ohne den Pfarrer wird doch alles zusammenbrechen. „Ja, viele Gläubige sind es nicht gewohnt“, sagt der Generalvikar. „Wir erleben das in Pfarreien, die vakant sind, die also auf einen Pfarrer warten. Es gibt Pfarreien, in denen vieles dadurch zusammenbricht. Aber dann gibt es andere, in denen sich auf einmal alle gemeinsam verantwortlich fühlen, sich einen Ruck geben – und dort blüht richtig etwas auf. Manchmal ist eine Vakanz sehr heilsam.“

Dazu kommt das Anspruchsdenken. „Viele Gläubige haben auch Erwartungshaltungen: ,Ich zahle Kirchensteuer, jetzt macht auch mal!' Sie haben Bedürfnisse und die Erwartung, dass andere diese befriedigen. Damit kommen wir nicht weiter“, sagt Plettenberg. „Christsein ist eine Lebensentscheidung und mehr als eine Mitgliedschaft in einem Verein.“

Wo liegen die größten Ängste?
Vor allen Dingen haben diejenigen Angst, die sich sehr stark mit ihrem Kirchturm, mit ihrer Pfarrgemeinde identifizieren und diese Nähe zu verlieren glauben. „Sie haben Angst, nur noch ein kleiner Punkt in einem großen Raum zu sein“, sagt der Generalvikar. „Da müssen wir schauen, dass wir diese Menschen nicht im Stich lassen.“ Nicht zuletzt gibt es aber auch Verunsicherung bei den Hauptamtlichen, die in neue Rollen schlüpfen müssen, weiß Plettenberg. „Es gibt nicht mehr die Pfarrgemeinde, die ihnen Sicherheit gegeben hat, sondern die Pfarrei der Zukunft, den weiten Raum, in dem sie sich neue Orientierungspunkte suchen müssen. Es ist unsere Aufgabe, alle Mitarbeiter bei den Veränderungen einzubinden.“

Wie schaut eine optimal funktionierende Pfarrei der Zukunft aus?
„Es bilden sich verschiedene Schwerpunkte innerhalb der Pfarrei der Zukunft aus. Zum Beispiel gibt es eine Kirche, in der es einen guten Kirchenchor gibt und wo alle Gläubigen gern zu Hochfesten hingehen. Dann gibt es einen Ort, der sehr jugendbewegt ist, wo sich Jugendliche austauschen und gemeinsam feiern können. Familien stärken sich gegenseitig, auch in der religiösen Erziehung ihrer Kinder. In unseren Kindertagesstätten erleben sie dazu Anregungen. Es wird Gruppen geben, die sich besonders um soziale Randgruppen oder um Flüchtlinge kümmern“, sagt Plettenberg. „Und es gibt immer mehr Christen, die spüren, dass sie ihren Glauben in den Alltag und in ihren Beruf einbringen müssen: zum Beispiel eine Friseurin, die beim Haareschneiden ein offenes Ohr für ihre Kunden hat und über Glaubensfragen spricht. Oder im Wartezimmer des Arztes oder auf dem Sportplatz. ,Ich höre dir zu, weil ich Christ bin. Ich lasse meinen Glauben unaufdringlich, aber ganz selbstverständlich in meinen Alltag einfließen.' Man braucht Mut dazu, aber ich wünsche mir, dass wir nicht so oft Kirche und Alltag voneinander trennen.“

Wohin können sich Gläubige mit Fragen oder Kritik wenden?
Es wird acht Großveranstaltungen mit Bischof Stephan Ackermann geben. Außerdem kann auf der Internetseite www.herausgerufen.bistum-trier.de ein Rückmeldebogen ausgefüllt werden. Bis zum Montag, 10. April, ist zudem ein Resonanz-Telefon unter der Nummer 0651/710 57 77 geschaltet. Das Telefon ist jeweils montags bis freitags in der Zeit von 9 bis 17 Uhr besetzt.

Den Fragen ging unser Kirchenexperte Michael Defrancesco nach