Berlin

Parlament: Neues Wahlrecht führt zu mehr Abgeordneten – Anbauen will deshalb aber noch niemand

Im Plenarsaal muss man bald wohl enger zusammenrücken.
Im Plenarsaal muss man bald wohl enger zusammenrücken. Foto: dpa

Zwischen Reichstag und Kanzleramt gibt es im Berliner Regierungsviertel zwar noch viele Freiflächen. Trotzdem wird dort nach der nächsten Bundestagswahl am 22. September kein neuer Abgeordneter ein Zelt auf der Wiese aufschlagen müssen. Dabei könnte das gerade beschlossene neue Wahlrecht dazu führen, dass mehr als 700 Parlamentarier dem Deutschen Bundestag angehören.

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Das wären mindestens 80 mehr als jetzt. Und sie alle benötigen Büros für sich und ihre Mitarbeiter.

Im Plenarsaal muss man bald wohl enger zusammenrücken.
Im Plenarsaal muss man bald wohl enger zusammenrücken.
Foto: dpa

In der Bundestagsverwaltung sieht man der möglichen Vergrößerung des Parlaments zumindest vordergründig aber noch gelassen entgegen. „Die Zahl der Abgeordneten wird erst mit dem Ergebnis der Bundestagswahl feststehen“, heißt es aus der Verwaltung.

Völlig aufgeblasen? Kritiker befürchten, dass das neue Wahlrecht den Bundestag erheblich vergrößern wird.
Völlig aufgeblasen? Kritiker befürchten, dass das neue Wahlrecht den Bundestag erheblich vergrößern wird.
Foto: Benjamin Stöß

Überlegungen würden bei jedem Wechsel einer Wahlperiode angestellt, die konkrete Umsetzung ist aber jeweils vom Wahlergebnis abhängig, äußert man sich zurückhaltend. Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich der Bundestag tatsächlich von den Ereignissen überraschen lässt. Der Steuerzahlerbund schimpft bereits lautstark über steigende Kosten – da möchte man nicht früher als unbedingt notwendig die Planungen öffentlich machen.

Zwischen den Fraktionen selbst war der neue Platzbedarf hingegen durchaus schon ein Thema. „Man geht davon aus, dass sich dann schon eine Lösung finden wird“, heißt es aus dem Büro des parlamentarischen Geschäftsführers der Grünen, Volker Beck, der auch Mitglied im Ältestenrat des Bundestages ist. Im Regierungsviertel wurde und wird eifrig gebaut. Das architektonisch auffällige Marie- Elisabeth-Lüders-Haus mit seiner großen Freitreppe hin zur Spree erhält gerade ohnehin einen umfangreichen Anbau.

Und auch in der Dorotheenstraße, wo die Fraktionen und viele Abgeordnete ihren Sitz haben, böte ein neues Bürogebäude noch Raum, um neue Parlamentarier zu beherbergen. Ein Abgeordneter verfügt in der Regel über mindestens zwei Büroräume – einen für Mitarbeiter und einen für den eigenen Schreibtisch in Berlin. Fraktionsvorsitzende und ihre Stellvertreter etwa haben zusätzliche Räume und größere Teams. Das gilt auch auch für Ausschussvorsitzende.

Auch im Plenarsaal im Reichstag müsste selbst für den Fall, dass es mehr als 800 Abgeordnete werden, niemand vor der Tür stehen bleiben. Der Aufbau des Plenums ist extrem flexibel. Man rückt dann einfach etwas näher zusammen. Bei der Bundesversammlung, die am 18. März im Plenarsaal zusammentrat und Joachim Gauck zum neuen Bundespräsidenten wählte, fanden dort mehr als 1200 Wahlfrauen und – männer Platz.

Und auch bei der historischen gemeinsamen Sitzung des Deutschen Bundestages mit der französischen Nationalversammlung im Januar rückten die Fraktionen zwar erheblich zusammen, doch jeder der zusammen mehr als 1000 Parlamentarier hatte einen Sitzplatz.

Erst seit 1990, dem Jahr der Wiedervereinigung, liegt die Zahl der Bundestagsabgeordneten kontinuierlich bei mehr als 600 Mitgliedern. Schwankungen hat es allerdings aufgrund von Überhangmandaten oder Wahlrechtsänderungen immer gegeben. Die aktuelle Änderung war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht das Wahlrecht, das die Koalition aus Union und FDP 2011 gegen den Willen der Opposition durchgesetzt hatte, für verfassungswidrig erklärte. Die Richter sahen die Chancengleichheit zwischen den Parteien als nicht gegeben an.

Vor allem der Effekt der sogenannten Überhangmandate wurde beanstandet: Ein Überhangmandat entsteht, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr gewählte Direktkandidaten in den Bundestag entsendet, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen.

Mit dem neuen Wahlrecht wurden sogenannte Ausgleichsmandate geschaffen: Bekommt eine Partei künftig mehr Sitze, als ihr prozentual zustehen, erhalten auch die anderen Parteien mehr Sitze – sodass das Verhältnis nach dem Zweitstimmenergebnis wieder stimmt. Der Bundestag wird dadurch also unweigerlich wachsen – wie sehr, das entscheiden am 22. September die Wähler. Eine Obergrenze gibt es jedenfalls nicht – und Experten warnen bereits vor einem aufgeblähten Im Plenarsaal muss man bald wohl Parlament.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann