Erfurt

Partei in der Krise: Die Linke kämpft ums Überleben

Von Holger Möhle
Der Linken-Doppelspitze Janine Wissler und Martin Schirdewan stehen stürmische Zeiten bevor. Sie müssen die heillos zerstrittene Partei wieder vereinen und auf die Erfolgsspur zurückführen. Immerhin das Reizthema Russland haben die Linken erst mal abgeräumt.
Der Linken-Doppelspitze Janine Wissler und Martin Schirdewan stehen stürmische Zeiten bevor. Sie müssen die heillos zerstrittene Partei wieder vereinen und auf die Erfolgsspur zurückführen. Immerhin das Reizthema Russland haben die Linken erst mal abgeräumt. Foto: Martin Schutt/dpa

Geschafft. Janine Wissler hat es geschafft. Und vermutlich ist sie auch geschafft. Parteitage schlauchen, erst recht in Krisenzeiten. Immerhin ist die Vorsitzende der Linken wiedergewählt. Wissler kann jetzt mit der Mission Wiederaufbau beginnen. Es gibt viel zu tun nach Jahren zuverlässigen Streits in der Partei.

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Sören Pellmann, selbst Kandidat für den Parteivorsitz, klagt über Schubladen und Zersplitterung. Heidi Reichinnek, Wisslers Gegenkandidatin um den Frauenplatz an der Parteispitze, sagte: „Wir haben nicht das Recht aufzugeben.“

Wissler hat nun einen neuen Co-Piloten an der Parteispitze. Sie führt künftig mit dem Europaabgeordneten Martin Schirdewan, der sein Mandat in Brüssel behalten will, die Partei. Stimmt die Chemie? Schirdewan sagt: „Ich habe ein super Gefühl.“ Wissler mag dahinter nicht zurückstehen: „Wir kennen uns, wir mögen uns. Und wir wissen, wo wir hinwollen.“

Es kann losgehen. Doch auch Schirdewan betont in seiner Rede, dass die Probleme der Partei gravierend sind. „Es ist so, dass es keine Partei ihrer Wählerschaft so schwer macht, das Kreuz bei ihr zu machen.“ Schirdewan will sich gemeinsam mit Wissler wieder um die „Brot-und-Butter-Themen“ kümmern: hohe Energiepreise, gestiegene Lebensmittelpreise, überhitzte Mieten. Und der in der Kampfabstimmung gegen Schirdewan unterlegene Pellmann? Der Leipziger erwägt einen Rückzug aus dem Bundestag. Dabei hatte er mit seinem direkt gewonnenen Bundestagsmandat dazu beigetragen, der Linken den Fraktionsstatus zu retten.

Ihren Kurs zu Russland sollte die Linke mit dem Parteitag von Erfurt nun geklärt haben. Bis auf Weiteres. Wissler setzt in einer heftigen Debatte über die Frage, wie es die Linke mit Russland halten will, den Leitantrag des Bundesvorstandes mit großer Mehrheit durch und macht damit ihre Art Frieden in der Kriegsfrage. Die erkrankt fehlende Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, die der Nato und dem Westen in einem Änderungsantrag eine Mitschuld am russischen Angriffskrieg gibt, kassiert eine deutliche Abfuhr.

Der Parteivorstand prangert Putins „imperialistische Politik“ an und verurteilt „den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands aufs Schärfste“. Gregor Gysi hatte den Antragstellern nochmals mitgegeben, dass EU und Nato bei ihrem Umgang mit Russland quasi alles falsch gemacht hätten. „Aber es war kein einziger Fehler dabei, der den völkerrechtswidrigen Krieg rechtfertigt.“

„Es ist so, dass es keine Partei ihrer Wählerschaft so schwer macht, das Kreuz bei ihr zu machen.“

Der neue Co-Vorsitzende der Linken, Martin Schirdewan

Die russische Philosophin und Oppositionelle Oxana Timofejewa ist eigens von Sankt Petersburg nach Erfurt gereist, um den Linken ihre Sicht des heutigen Russlands zu erzählen. „Wir sind Fremde im eigenen Land“, ruft sie den Delegierten zu. Sie verwendet mehrfach die Vokabel „Krieg“, was in ihrer Heimat unter Strafe steht. Wissler sagt, Timofejewa habe eine „sehr mutige Rede“ gehalten.

Die Linke zeigt sich auch in Erfurt als politische wie organisatorische Blackbox. Es ist immer Platz für Überraschungen. So gibt es etwa den Antrag, die Rede von Gregor Gysi von der Tagesordnung zu streichen. Die Delegierten stimmen ab: Antrag abgelehnt. Gysi kann sprechen. In drei Sätzen macht er den Delegierten den Ernst der Lage klar: „Zu unserem 15. Geburtstag fällt mir kein rechter Glückwunsch ein, weil wir uns in einer existenziellen Krise befinden“, wettert Gysi. „Entweder wir retten unsere Partei oder wir versinken in Bedeutungslosigkeit.“

Antrag auf Trennung von Amt und Mandat? Für Gysi schlicht Unfug. „Denn wenn wir so weitermachen, haben wir bald gar keine Mandate mehr, dann haben wir die vollständige Trennung.“ Er ist erzürnt: „Mein Gott, wir haben eigentlich so viel zu tun, und womit befassen wir uns eigentlich?“, ruft er in den Saal.

Die Partei leistet sich bislang ein Spitzengremium mit 44 Mitgliedern, das größer ist als die eigene Bundestagsfraktion mit 39 Abgeordneten. Nun soll der Bundesvorstand von 44 auf 26 Genossen verkleinert werden. Der Parteitag stimmt mit großer Mehrheit von 75 Prozent für die Verkleinerung.

Co-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali betont dann noch: „An diesem Wochenende werden wichtige Weichen gestellt, und wir müssen mit aller Ernsthaftigkeit beraten, wie es mit uns weitergehen soll.“ Sie bekommt stürmischen Applaus. Gysi wurde noch deutlicher: „Hört auf mit dem kleinkarierten Mist in dieser Partei. Wir müssen entschlossener, leidenschaftlicher kämpfen. Tschüss!“

Kommentar zu Wegen aus der Krise der Linken: Partei braucht wieder einen Markenkern

Die Linke hat nicht mehr viel Kredit. Sie muss Vertrauen bei ihren Wählern zurückgewinnen, vor allem aber bei jenen, die sie seit geraumer Zeit nicht mehr wählen. Viel Zeit hat sie dazu nicht mehr. Bis zur nächsten Bundestagswahl.

Die Partei muss nach ihrem Bundesparteitag in Erfurt dringend die Frage beantworten, für wen sie noch Politik machen will. Denn an einer Tatsache können Vorstand, Funktionäre und Mitglieder nicht vorbeisehen: Ihre Partei wird im Bund und in den Ländern von immer weniger Menschen gewählt, auch wenn sie in Zeiten steigender Armut, überhitzter Energiepreise und Zukunftsangst eigentlich Zuspruch haben könnte. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Die Linke hat das Problem, dass sie auch 15 Jahre nach ihrer Vereinigung zu einer gesamtdeutschen Partei vermutlich zwei, wenn nicht sogar drei Parteien in einer ist. Hier die Bewegungslinke, deren Vertreter mit Klimaaktivisten demonstrieren, dort die (zersplitterten) ostdeutschen Reformpolitiker und schließlich noch Ideologen um Sahra Wagenknecht, nicht ohne Grund auch die „Wagenknechte“ genannt. So wird das nichts.

Die Partei muss den Menschen einen Mehrwert bieten, einen echten Grund, sie zu wählen. Denn zu oft bot die Linke den Bürgern diverse Anlässe, sie nicht zu wählen. Wieso auch, wenn die Linke mehr mit sich selbst als mit Lösungen für eine Zukunft des Landes beschäftigt ist? Die Partei braucht wieder einen klar erkennbaren Markenkern. Und sie muss ihr Auftreten wie ihren Umgang miteinander ändern und aufhören, permanent unterschiedliche Signale zu den Krisen dieser Zeit zu senden: Krieg, Klima, Corona. Die Vielstimmigkeit der Linken gleicht einem Orchester, das nicht aufeinander eingespielt ist. Der neue Vorstand muss ein neues Kraftzentrum werden. Sonst hat die Linke ausgespielt.

E-Mail: holger.moehle@rhein-zeitung.net

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