Berlin

Eine Tonne CO2, bitte! Das klimaschädliche Gas soll einen Preis bekommen – Wie das gelingen könnte

Von Jörg Hilpert
Rauch über den Dächern Leipzigs: Auch die Wohnungseigentümer und -mieter werden die „CO2-Bepreisung“ spüren.
Rauch über den Dächern Leipzigs: Auch die Wohnungseigentümer und -mieter werden die „CO2-Bepreisung“ spüren. Foto: picture alliance/dpa

Am 20. September will das Klimakabinett Nägel mit Köpfen machen – also jenes Gremium, in dem die besonders betroffenen Ministerien ein Maßnahmenpaket für mehr Klimaschutz schnüren sollen. Auf dem Tisch liegt dann auch die CO2-Bepreisung.

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Der Begriff, so merkwürdig er klingt, hat seine Berechtigung. Normalerweise bilden sich in einer Marktwirtschaft Preise, weil die Güter knapp sind – mal mehr, weil beispielsweise weiße Trüffel höchst selten sind, mal weniger, weil Gurken aus niederländischen Treibhäusern massenhaft in die Supermärkte kommen. Kohlendioxid allerdings ist überhaupt nicht knapp – ganz im Gegenteil, es entströmt Verbrennungsmotoren, Heizkesseln und Industrieanlagen in schädlichem Überfluss.

Der ökonomisch sinnvollste Weg, das CO2 dennoch mit einem Preisschild zu versehen: Es wird eine künstliche Knappheit geschaffen. Die Politik legt dazu fest, wie viel Kohlendioxid insgesamt ausgestoßen werden darf, und teilt die Menge in Zertifikate für beispielsweise jeweils eine Tonne CO2 auf. Autofahrer und Hauseigentümer bekommen eine bestimmte Menge an Zertifikaten zugeteilt.

Fehlverhalten würde teuer

Wer viel fährt oder es gern kuschelig warm hat, muss sich Zertifikate dazukaufen. Andere können damit Geld verdienen, dass sie sich umweltbewusster verhalten – indem sie eigene Zertifikate verkaufen. Ein Markt entsteht, ein Preis bildet sich heraus. Und da im Interesse des Klimaschutzes die erlaubte Menge an CO2-Emissionen Zug um Zug abgesenkt wird, steigt dieser Preis über die Zeit. Was auch bedeutet, dass es immer lohnender wird, sich klimafreundlich zu verhalten. Sehr charmant ist daran zudem: Solange es keine Betrügereien gibt, wird das Ziel – immer weniger Kohlendioxid – zuverlässig erreicht, schließlich wird die Menge direkt vorgegeben.

Und das System, für das die Union politisch eintritt, ist eben auch keine reine Theorie. Schon seit 2005 gibt es in der EU einen sogenannten Emissionshandel (European Union Emissions Trading System, EU ETS), der genau auf diesem Prinzip basiert. Anfangs zeigte er wenig Wirkung: Die Zertifikate waren ohnehin recht großzügig bemessen; in der Wirtschaftskrise 2009 schwächelte die Industrie dann derart, dass mangels Produktion (und CO2-Emission) die „Verschmutzungsrechte“ massenhaft frei wurden. Nach einer Reform 2018 allerdings haben die Preise kräftig angezogen.

Das EU ETS soll auch Vorreiter für ein mögliches globales System sein. Denn im Grunde lässt sich das Kohlendioxidproblem nur mit einem weltweiten Ansatz lösen; für den Zustand des Klimas ist es gleichgültig, ob das CO2 auf verstopften deutschen Autobahnen ausgestoßen wird oder aus den brennenden Regenwäldern am Amazonas stammt. Doch solange noch nicht einmal alle Politiker vom menschengemachten Klimawandel überzeugt sind, ist ein globaler Ansatz illusorisch.

Das EU ETS erfasst bisher die Energiewirtschaft, besonders CO2-intensive Industriezweige und die Luftfahrt. Doch um das Klima zu schützen, müssen auch die anderen Sektoren einbezogen werden – allen voran Verkehr und Gebäude (Wärmeerzeugung). Der Sachverständigenrat (fünf Wirtschaftsweise) plädierte im Juli in einem Sondergutachten dafür, räumte aber ein, dass dies mit „langwierigen rechtlichen und politischen Verfahren verbunden sein könnte“. Es sei daher „als Übergangslösung eine separate Bepreisung im Nicht-EU-ETS-Bereich notwendig“.

Eine Steuer ist schneller eingeführt

Und damit kommt die von der SPD favorisierte CO2-Steuer ins Spiel. Sie ist einfacher umzusetzen und ließe sich ziemlich schnell einführen – ein gewichtiges Argument für alle, die von der Dringlichkeit des Handelns überzeugt sind. Stimmen die Prognosen der Klimaforscher, zählt quasi jeder Tag. Vom ökonomischen Ansatz her geht die Steuer genau den umgekehrten Weg wie der Emissionshandel: Der Preis wird festgesetzt, nicht die Menge. Für die Betroffenen, also dann wir alle, ist das transparent: Das Preisschild hängt da, die Politik könnte auch direkt festlegen, wann es in den nächsten Jahren wie viel teurer wird. Aus ökologischer Sicht ist allerdings unklar, ob und wenn ja wie stark der Kohlendioxidausstoß zurückgeht. Der Verbraucher könnte das Ganze auch als schlichte Preiserhöhung von Benzin, Diesel und Heizöl sehen und zähneknirschend hinnehmen – statt sein Verhalten zu ändern.

Das will die Politik unbedingt verhindern – das Instrument soll deshalb „sozial verträglich“ gestaltet werden. Zum einen könnte es deshalb statt einer Steuer eine Abgabe werden: Die Einnahmen daraus flössen dann nicht in den allgemeinen Haushalt, sondern wären zweckgebunden für den Klimaschutz vorgesehen.

Zum anderen sollen die Mehrausgaben fürs Kohlendioxid möglichst vollständig kompensiert werden. Denn grundsätzlich wirkt die Kohlendioxidabgabe regressiv, wie die Ökonomen sagen: In ärmeren Haushalten schlagen beispielsweise die Heizkosten stärker zu Buche als in jenen, die genug Geld zur Verfügung haben. Erhält aber jeder denselben Betrag vom Staat zurück, entfaltet sich plötzlich ein progressiver Effekt: Wer nur eine kleine Rente bezieht, freut sich mehr über 100 Euro als der gut verdienende Ingenieur.

Die Akzeptanz erhöhen

Manche Experten plädieren dafür, jedem Bürger einmal jährlich einen Scheck über Betrag X zu schicken. Der Vorteil: Das würde wirklich wahrgenommen, die politische Akzeptanz für das eigentlich lästige CO2-Bepreisen wüchse. Es geht aber auch anders: Eine Forschergruppe um den Berliner Professor Karsten Neuhoff empfiehlt, den Pro-Kopf-Bonus über die Krankenversicherung auszuzahlen. Dort sind ohnehin (fast) alle erfasst, der Beitrag würde einfach entsprechend reduziert. Das Vorbild: In der Schweiz wird dieses Verfahren praktiziert.

Von unserem Wirtschaftsredakteur Jörg Hilpert