Wasserstoff oder Batterie – wer macht das Rennen?
Wasserstoff ist nicht nur das erste Element im chemischen Periodensystem, sondern auch das erste, wenn man über die Energiewende spricht. Über seine Rolle wird schon seit Jahrzehnten diskutiert, die umweltfreundliche „Wasserstoffwirtschaft“ von vielen herbeigesehnt. Zuletzt rückte sie wieder in den Fokus, die Bundesregierung legt nun sogar ein 9 Milliarden Euro schweres „Nationales Wasserstoffprogramm“ auf.
Enormer Bedarf in Stahlproduktion
Das leichteste chemische Element kann in etlichen Industriezweigen fossile Stoffe verdrängen, vor allem bei der Stahlherstellung könnte es Koks ersetzen, der in den Hochöfen verfeuert wird und viel CO2 entstehen lässt: weltweit etwa 10 Prozent des CO2-Ausstoßes. Allerdings benötigt diese Technik sehr viel Strom aus erneuerbaren Quellen: Allein um den ersten Hochofen von ThyssenKrupp auf die neue Technik umzustellen, sind 500 Megawatt an elektrischer Leistung nötig, das entspricht der Produktion ungefähr 150 heute üblicher Windräder an Land. Sollten bis zum Klimaziel „null CO2“ im Jahr 2050 alle Hochöfen ersetzt werden, wird insgesamt neun Mal so viel Strom nötig sein – nur für die Stahlproduktion bei ThyssenKrupp. Das zeigt die Dimensionen und die dringende Notwendigkeit von grün hergestelltem Wasserstoff allein für die Industrie, die neben Stahl auch noch weitere Anwendungsfelder bietet.
Doch in der Öffentlichkeit wird um das flüchtige Element meist in einem ganz anderen Zusammenhang diskutiert: als Energiespeicher für die Mobilität. Also für Flugzeuge, Schiffe, Lokomotiven und im Straßenverkehr. Es ist tatsächlich verlockend: Wasserstoff wird mittels Strom aus Sonnen- und Windenergie oder Biomasse hergestellt und reagiert mit Sauerstoff ohne Schadstoffe oder CO2 zu Wasser. Das funktioniert zwar auch in klassischen Verbrennungsmotoren, doch ist diese Technik wenig effizient und problematisch – BMW beispielsweise hat praktische Versuche dazu schon vor mehr als zehn Jahren eingestellt.
Viel ergiebiger ist es, elektrisch angetriebene Fahrzeuge zu bauen, bei denen der Wasserstoff in Brennstoffzellen „kalt“ zu Wasser verbrannt wird. Dabei fließt Strom, der dann Elektromotoren antreibt – also E-Autos. Es gibt inzwischen bereits einige solche Serienfahrzeuge mit Brennstoffzellen zu kaufen, sie sind aber noch recht teuer. Würde der Preis durch Massenproduktion sinken, hätten diese Modelle gute Chancen: Für 43 Prozent der Autofahrer wären sie derzeit eine Option, während nur 38 Prozent sich für ein E-Auto mit Batteriespeicher interessieren, ergab kürzlich eine Umfrage. Einfach, weil sich der Wasserstoff wie gewohnt in wenigen Minuten nachtanken lässt, wo das Batterie-E-Auto selbst am Schnelllader eine halbe Stunde stehen muss. Ist die Brennstoffzelle also die praktischere und bessere Lösung?
Wenn man VW-Chef Herbert Diess Glauben schenkt, ist sie es nicht: „Das Wasserstoffauto ist nachgewiesen nicht die Klimalösung. Scheindebatten sind reine Zeitverschwendung. Bitte auf die Wissenschaft hören!“, twitterte er und bezog sich auf eine Studie des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, die zur Erkenntnis gelangt, dass es falsch wäre, Wasserstoff oder daraus hergestellte synthetische Treibstoffe, sogenannte E-Fuels, für den Pkw-Antrieb zu nutzen. Besser seien Akkuautos. (siehe Bericht unten).
Electrive.net ist ein Informationsdienst, der auf E-Mobilität spezialisiert ist. Er hatte jüngst Wasserstofffachleute aus verschiedenen Disziplinen und Branchen zu einer Onlinekonferenz zu diesem Thema zusammengeschaltet. Diese Runde kam zu einem etwas anderen Ergebnis als das Potsdamer Institut: Einig war man sich, dass klassische Verbrennungsmotoren ausgedient haben und auch direkt mit Wasserstoff oder mit E-Fuels betrieben keine Zukunft haben werden. Sie empfehlen Wasserstoff als Energiespeicher und daran geknüpft die Brennstoffzelle als Stromlieferant. Die Experten raten allerdings, sowohl Brennstoffzellen- als auch Batterietechnologie im Verkehrswesen einzusetzen und eine Monokultur zu vermeiden.
„Das ist kein Rennen gegeneinander, sondern miteinander“, fasste es Björn Eberleh vom Akkuhersteller Akasol zusammen. Denn kleine Batterien sind auch in Brennstoffzellenautos nötig, um Lastspitzen abzufangen und vor allem, um die Bremsenergie in Strom zu wandeln. Diese „Rekuperation“, die den Akku auflädt, ist ein in allen E-Autos übliches Verfahren, das einen wichtigen Teil ihrer Energieeffizienz ausmacht. Deshalb sind alle heutigen Brennstoffzellenautos rein elektrische Hybridfahrzeuge: mit kleinem Akku und großer Brennstoffzelle. Was liegt also näher, als den Akku bei Bedarf etwas größer und von außen aufladbar zu machen („Plug-in“), zum Beispiel aus der heimischen PV-Anlage – also beide Welten zu vereinen? Allerdings wäre eine solche Kombination derzeit wohl noch zu teuer und ist eher eine Option für die Zukunft.
Sind die Würfel also bereits zugunsten der Batterietechnik gefallen, wie der VW-Chef meint? Nicht wenn „alle Früchte der Elektrolyse“ geerntet werden und all das in die Effizienzanalyse einfließe. Denn über den reinen Fahrstrom hinausgedacht, sei Wasserstoff hocheffizient und habe „seine absolute Berechtigung im Verkehr“, sagt André Steinau aus Nordfriesland. Dort erntet das Unternehmen GP Joule – unter Beteiligung von Kommunen und Bürgern – auf der eFarm mittels Strom aus Windkraftanlagen Wasserstoff. Damit werden entsprechende Tankstellen versorgt. Sogar die im chemischen Prozess entstehende Abwärme wird nicht verschwendet, sondern in ein Nahwärmenetz eingespeist – keine Energie geht so verloren, Überproduktionen und Zwangsabschaltungen von Windrädern sind passe.
Steinau plädiert für eine dezentrale Energieerzeugung in den Regionen. So würde Wasserstoff zum Energiespeicher, produziert, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht, und verbraucht, wenn es daran mangelt. Zudem würden Transportwege vermieden, weil das Gas nahe seinem Produktionsort verbraucht wird.
Anders als viele andere Wasserstoffbefürworter sieht er vorläufig keinen Bedarf für Importe. „Wir haben gerade mehr, als wir verwenden können.“ Denn zurzeit fehle es noch an einem funktionierenden Wasserstoffmarkt, weil Erdgas noch zu billig sei, die CO2-Abgabe noch zu gering. Als neuer Markt bietet sich der Verkehr an. „Der H2-Lkw kommt. Wasserstoff in Nutzfahrzeugen ist unabdingbar“, ist sich Steinau sicher.
Daran arbeiten die Automobilkonzerne derzeit intensiv. In Lkw bestehe eine größere Notwendigkeit mangels Alternativen, glaubt Christian Mohrdieck von Cellcentric, einem Brennstoffzellen-Joint-Venture von Daimler Truck und der Volvo Group. „Da gelingt der Durchbruch am ehesten.“ Er bezeichnet die Dekarbonisierung des Lkw-Verkehrs angesichts eines Anteils von 5 Prozent an den weltweiten CO2-Emissionen als „großen Hebel“. Für die Brennstoffzelle spricht dabei aus seiner Sicht „vergleichbares Gewicht, Betankungszeit und Reichweite wie bei Diesel-Lkw“ und damit verbunden das Beibehalten von bewährten Logistikprozessen. Aber auch Mohrdieck plädiert für den kombinierten Einsatz von Batterie- und Brennstoffzellentechnik.
Ein H2-Tankstellennetz entsteht gerade, der größte Betreiber, H2-Mobility Deutschland, wird bald seine 100. Station in Betrieb nehmen. In den kommenden fünf Jahren soll das aktuelle Netzwerk für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge ausgebaut und gleichzeitig ein Tanknetzwerk für Lkw realisiert werden. „Nutzfahrzeuge werden die Treiber der Wasserstoffmobilität sein“, ist sich der Manager Nikolas Iwan sicher. Bis 2025 rechnet er mit 9000 H2-Fahrzeugen in Deutschland, darunter mehr als 40 Prozent Nutzfahrzeuge, bis 2030 bereits mit gut 100.000 Fahrzeugen bei steigendem Lkw-Anteil.
VW will Akkus sogar in Lkw bauen
Bis vor Kurzem waren 1000-Kilowattstunden-Akkus, die Langstreckenlaster für einen batterieelektrischen Antrieb benötigen, undenkbar gewesen: Zu schwer, zu teuer und zu viele Ressourcen verschlingend, war die einhellige Meinung. Doch inzwischen ist Traton, der Lkw-Zweig des VW-Konzerns, überraschend von der Brennstoffzelle auf den Akku umgeschwenkt. Selbst dieser Sektor, der bisher sicher der Brennstoffzelle zugeschrieben wurde, könnte dem Wasserstoff eventuell verloren gehen.
So scheint das Rennen zwischen Batterie und Brennstoffzelle im Straßenverkehr noch offen. Lassen sich Stromkabel einfacher legen oder Pipelines für Wasserstoff umrüsten oder neu bauen? Kann ausreichend Wasserstoff im Land produziert werden oder muss er wie heute Rohöl und Erdgas überwiegend aus Russland, arabischen und nordafrikanischen Staaten per Schiff oder Pipeline importiert werden? Der Ausgang des Wettstreits bleibt ungewiss. Jochen Magnus