Schlagabtausch PRO: Drogenpolitik braucht Zwischenschritte

Von Nicole Müller-Orth Wollust und Völlerei haben drei Dinge gemein: Sie sind Todsünden, haben ihren 3000. Jahrestag schon lange hinter sich, und es werden noch viele weitere folgen. Für die Politik ist das von Belang. Eines der Kernhandwerke der Politik ist es, Gesetze zu gestalten. Und die sind zum Scheitern verurteilt, wenn einem Fehlverhalten keine Sanktion droht.

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Von Nicole Müller-Orth

Wollust und Völlerei haben drei Dinge gemein: Sie sind Todsünden, haben ihren 3000. Jahrestag schon lange hinter sich, und es werden noch viele weitere folgen. Für die Politik ist das von Belang. Eines der Kernhandwerke der Politik ist es, Gesetze zu gestalten. Und die sind zum Scheitern verurteilt, wenn einem Fehlverhalten keine Sanktion droht.

Ein guter Politiker wird sich deswegen auf Todsünden und kleinere Sünden der Menschen einstellen. Das heißt noch lange nicht, sie gutzuheißen. Vor allem Drogenpolitiker stehen vor diesem Dilemma: Streng genommen ist ihre Arbeit erst erledigt, wenn die letzte Zigarette ausgedrückt und der letzte Korn ausgeschüttet ist. Da die Perspektive fehlt, dies in absehbarer Zeit zu erreichen, müssen Zwischenschritte getan werden.

Drogenpolitikern, die das Problem ernsthafter angehen wollen, als nur bunte „Lass die Finger weg“-Broschüren ins Volk zu streuen, wird vorgeworfen, Drogenkonsum zu verharmlosen oder gar zu verherrlichen. Dieser Vorwurf ist unredlich. Eine Drogenpolitik, die dem Drang der Menschen zum Konsum nicht ins Auge blickt, ist wie ein Gesetz, von dem der Staat erwartet, dass sich schon aus Einsicht alle dran halten werden.

Worum geht es? Rot-Grün wird die Eigenbedarfsgrenze für Cannabis in Rheinland-Pfalz von sechs auf zehn Gramm anheben. Das heißt: Ein Polizist, der jemanden mit acht Gramm in der Tasche erwischt, kann diesen anzeigen – muss es aber nicht. Das ist alles. Die CDU macht daraus einen Kulturkampf und tut so, als ob die Eifel zur Hanfplantage und die Ludwigsstraße zur Kiffermeile würden.

Angeblich tut die CDU das in Sorge um die Menschen. Und selbst wenn das Vorhaben glaubhaft wäre, der Effekt ist ein anderer: Die Christdemokraten überziehen die Konsumenten mit einem Verfolgungseifer, der vielleicht alttestamentarisch, aber sicher nicht christlich ist. Strafen, statt zu helfen, so würde ein ehrlicher Slogan zur Drogenpolitik der Christdemokraten lauten.

Im Gesamtkonzept der Drogenpolitik spielt die Anhebung der Eigenbedarfsgrenze nur eine kleine Rolle. Für den Betroffenen kann sie einen Wendepunkt bedeuten. Je nach Konsum reichen zehn Gramm als Vorrat für eine oder mehrere Wochen. Wurde bisher jemand mit dieser Menge erwischt, hatten die Polizisten gar keine Wahl, als die Strafverfolgung einzuleiten. Mit allen bekannten Folgen: Vorstrafen, Stigma für den Arbeitsmarkt, soziales Abrutschen, Einfluss auf die Psyche, höhere Suchtgefahr, höhere Strafen und so weiter und so weiter und so weiter.

Ein guter Polizist weiß das. Er hat ein Gespür dafür, ob er es mit einem Kiffer zu tun hat oder mit einem Dealer, der mit Drogenkonsum Geld verdient. Rheinland-Pfalz erweitert mit der neuen Eigenbedarfsgrenze den Spielraum erfahrener Polizisten. Sie müssen in weniger Fällen gegen ihre Überzeugung ein Strafverfahren einleiten.

Die Höhe der Eigenbedarfsgrenze ist nur ein kleiner Teil jeder Drogenpolitik. Doch zeigt sich an ihr Grundsätzliches: Geht es dem Handelnden in erster Linie darum, Süchtigen zu helfen, oder will er eine ihm nicht genehme Droge mit aller Konsequenz verbieten?

Der Vergleich zwischen Alkohol und Cannabis funktioniert genauso gut, aber vor allem genauso wenig wie der Vergleich zwischen Wollust und Völlerei. Auch Alkohol ist eine Droge. Das streiten noch nicht mal die Politiker ab, die in bacchantischen Ritualen ein Glas als Zepter halten und sich als Weinkönigin feiern lassen. Doch niemand käme auf die Idee, den Alkohol verbieten zu wollen.

Niemand in Deutschland, die USA haben es mal versucht. Und sie haben damit eine Blaupause geliefert: dafür, wie Drogenpolitik nicht funktioniert. Während der sogenannten Prohibition von 1919 bis 1932 ist in den Staaten viel passiert, nur nicht der Alkoholkonsum zurückgegangen. Dafür ermöglichte das Verbot einem Mann wie Al Capone die Karriere. Der Mafiaboss wurde mit Alkoholschmuggel reich, berühmt und mächtig. So mächtig, dass er für seine Morde nie verurteilt werden konnte. Die Folgen einer reinen Verbotspolitik sind also: Kriminalisierung der Konsumenten und goldrauschartige Gewinne durch verbotenen Handel. Mit beidem ist der Rechtsstaat USA nicht zurande gekommen, und das Gleiche droht allen, die den gleichen Weg gehen wollen.

In einer Frage gibt es keine zwei Meinungen. Den Drogenhandel muss der Staat in aller Konsequenz bekämpfen. Nur wird diese Aufgabe durch die Anhebung der Eigenbedarfsgrenze nicht tangiert. Zehn Gramm dürften je nach Region einen Schwarzmarktwert von 150 bis 300 Euro haben. Kein Händler – legal oder illegal – könnte allerdings ein Geschäftsmodell auf einen Warenbestand bauen, der höchstens einen Gesamtwert von 300 Euro hat.

Und eigentlich dürfte sich selbst die CDU nicht der Position verschließen, dass es Ziel einer jeden Drogenpolitik sein muss, Konsum so weit wie möglich zu verringern, Suchtkranken zu helfen und den Schwarzhandel zu unterbinden sowie seine Händler zu verfolgen. Den Verbrauch zu mindern und den Opfern zu helfen, funktioniert aber nicht mit strikten Verboten. Da hilft nur Aufklärung – und wenn nötig Therapie. Wem das Weggesperrt-werden droht, der wird dafür nicht offen sein. Und jenseits ihrer Polemik weiß die CDU das auch.