Reform: Wie der Staat bei der Pflegevorsorge hilft

Teure Pflege: Weil bei vielen Betroffenen die Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht ausreichen, bezuschusst der Staat eine Zusatzversicherung mit 60 Euro pro Jahr.
Teure Pflege: Weil bei vielen Betroffenen die Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht ausreichen, bezuschusst der Staat eine Zusatzversicherung mit 60 Euro pro Jahr. Foto: dpa

Die Zahlen des Barmer- GEK-Pflegereports dürften viele geschockt haben: Pflegebedürftige müssen in Deutschland mehr als 37 000 Euro aus eigener Tasche für die Pflege zahlen – 31 000 Euro für das Heim, weitere 6000 Euro für ambulante Leistungen.

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Allerdings: Ein Zehntel der Betroffenen muss von Beginn der Pflegebedürftigkeit bis zum Tod mehr als 99 000 Euro aus eigener Tasche berappen, in den Spitzen sind es sogar mehr als 300 000 Euro. Die staatliche Pflegeversicherung übernimmt demnach lediglich weniger als die Hälfte der gesamten Pflegekosten. Wer den Rest nicht tragen kann und keine Pflegezusatzversicherung hat, für den springt in der Regel die Sozialhilfe ein – im Schnitt trägt sie 3000 Euro für stationäre und 400 Euro für ambulante Pflege.

Abhilfe schaffen soll jetzt der sogenannte Pflege-Bahr, eine staatlich bezuschusste Pflegezusatzversicherung.

Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen zu diesem neuen Modell:

Was ist der Pflege-Bahr?

Der Abschluss privater Zusatzversicherungen für den Pflegefall wird steuerlich gefördert. „Das ist der Pflege-Bahr, den wir einführen“, sagte der damalige FDP-Generalsekretär Christian Lindner und prägte den Begriff. Der monatliche Mindestbeitrag beträgt 15 Euro, dafür gibt es einen staatlichen Zuschuss von 5 Euro. Insgesamt werden jährlich also 180 Euro in eine private Pflegezusatzversicherung einbezahlt, von denen der Staat 60 Euro trägt. Für 2013 sind im Bundeshaushalt 100 Millionen Euro für den Pflege-Bahr vorgesehen. Das reicht für 1,7 Millionen Verträge. In den nächsten Jahren könnte der Fördertopf allerdings größer werden. Wichtig zu wissen ist: Anders als bei der Riester-Rente ist es ein fester staatlicher Zuschuss, Steuern lassen sich damit nicht sparen.

Wer kann einen solchen Vertrag abschließen?

Das ist der Clou beim Pflege-Bahr: Jeder Erwachsene kann einen Vertrag abschließen. Eine Altersgrenze nach oben gibt es nicht. Die Versicherungen dürfen keinen Interessenten abweisen. Bei Pflegezusatzversicherungen gibt es ansonsten üblicherweise einen Gesundheitscheck vor Vertragsabschluss. Die Versicherer dürfen dann Antragsteller mit Vorerkrankungen ablehnen. Allerdings hat auch dieser Vorteil des Pflege-Bahr einen Haken: Wer eine solche Versicherung abschließt, muss fünf Jahre warten, ehe er Leistungen bekommt. Das heißt: Wer beispielsweise mit 50 Jahren einen Pflege-Bahr-Vertrag unterzeichnet und mit 54 pflegebedürftig wird, muss noch ein Jahr warten, ehe er Geld erhält.

Was kostet ein solcher Vertrag den betroffenen Bürger?

Der Mindestbeitrag beträgt 15 Euro. Ansonsten richtet sich die Höhe nach dem vereinbarten Pflegegeld und dem Alter der jeweiligen Versicherten. Jüngere können wie bei anderen Versicherungen auch für den gleichen Beitrag eine höhere Leistung versichern als Ältere. Allerdings gilt im Zeitalter der Unisex- Tarife: Männer und Frauen müssen für den Pflege-Bahr gleich viel zahlen.

Welche Leistungen gibt es?

Die Mindestleistung beträgt monatlich 600 Euro für Pflegestufe 3. Nur dann ist der Vertrag förderfähig. Maximal fließen 1550 Euro. In der Pflegestufe 0 beträgt das Monatsgeld mindestens 10 Prozent, in der Stufe 1 mindestens 20 Prozent und in der Stufe 2 mindestens 30 Prozent der 600 Euro in Stufe 3. Ein Pflegeheim kostet im Schnitt 3000 bis 3500 Euro. Etwas weniger als die Hälfte gibt es aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Also reicht die Maximalleistung beim Pflege-Bahr gerade aus, um die Lücke zu schließen. Gibt es schon konkrete Zahlen?

Die liegen bei vielen Versicherungen noch nicht vor. Eine Ausnahme ist die Koblenzer Debeka, die den Pflege-Bahr ab 15. Februar anbietet. Allerdings sind auch hier die Beiträge und Leistungen noch nicht endgültig festgelegt. Nach derzeitigem Stand ist bis zum 35. Lebensjahr ein Mindestbeitrag von 15 Euro haltbar. Wenn ein 20-Jähriger diesen zahlt, bekommt er ein Pflegegeld von monatlich rund 890 Euro, ein 25-Jähriger bekommt dafür nur rund 780 Euro. Ab dem 35. Lebensjahr steigt der Beitrag kontinuierlich von 15,30 auf rund 37 Euro für 60-jährige Neukunden – dafür bekommen alle über 35-Jährigen lediglich die Mindestleistung von 600 Euro. Bei der Debeka sind die Abschläge für die Pflegestufen 0 bis 2 jedoch geringer als gesetzlich vorgeschrieben: In Stufe 0 gibt es 20 Prozent, dann 35 und 70 Prozent der 600 Euro in Stufe 3. Vorstand Roland Weber begründet dies damit, dass die meisten Menschen gar nicht erst in Stufe 3 kommen.

Für wen lohnt sich der Abschluss des Pflege-Bahr?

„Der Pflege-Bahr kommt vor allem für Versicherte infrage, die auf dem freien Markt keine Police bekommen“, sagt Bianca Boss vom Bund der Versicherten. Aus ihrer Sicht hat ein Abschluss für Junge und Gesunde indes keinen Sinn. Dafür sei die Förderung von 5 Euro als Anreiz ohnehin zu gering. Experten mahnen alle anderen allerdings: Je früher man die Pflegepolicen abschließt, desto günstiger sind sie. Wer mit 60 Jahren anfängt, kann schnell 150 bis 200 Euro pro Monat zahlen. Gerade Ältere sollten wegen der hohen Beiträge einen Anbieter wählen, der im Pflegefall die Beitragsfreiheit vorsieht.

Oft sei dies beim Pflege-Bahr nicht der Fall, kritisiert Michael Wortberg von der rheinland-pfälzischen Verbraucherzentrale. „Für mich ist allein das schon ein K.-o.-Kriterium.“ Roland Weber hofft dennoch, dass sich die Zahl der Pflegezusatzversicherungen bei der Debeka von derzeit etwa 200 000 in diesem Jahr um eine sechsstellige Zahl erhöhen lässt – branchenweit waren es Ende 2011 insgesamt 1,88 Millionen Verträge. Das sind nur 2,4 Prozent der insgesamt 79 Millionen staatlich Pflegeversicherten. Um den Pflege-Bahr auch für Junge und Gesunde attraktiv zu machen, hat sich die Debeka einen besonderen Anreiz ausgedacht: Nur wer den Pflege-Bahr abschließt, kann künftig auch eine Pflegezusatzversicherung bei den Koblenzern abschließen.

Von unserem Redakteur Christian Kunst