Rede mit Kampfgeist und Emotion: SPD gibt Steinbrück zweite Chance

Bei den rheinland-pfälzischen Delegierten drückt Landesvorsitzender Roger Lewentz auf die Stoppuhr, als Peer Steinbrück nach einer Stunde und 50 Minuten seine Rede beendet. Lewentz klatscht und klatscht. „Steinbrück hat gezeigt, dass er nicht nur Technokrat ist, sondern auch Mensch und Sozialdemokrat.“

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Der Rheinland-Pfälzer ist „sehr angetan“. Die SPD feiert ihren Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück mit frenetischem Beifall. Am Morgen des Parteitages ist das noch nicht so sicher.

Der Schnee stört die große Kandidatenshow in Hannover am zweiten Advent. Als der Parteitag der Sozialdemokraten mit etwas Verspätung beginnt, sind noch viele Plätze leer. Das Wetter ist schuld, beeilt sich die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zu erklären, als sie das große Parteitreffen zur Nominierung des Kanzlerkandidaten eröffnet. Wenige Hallen weiter auf dem Messegelände hatten die Christdemokraten fünf Tage zuvor ihrer Parteichefin Angela Merkel das beste Ergebnis ihrer bisherigen Amtszeit an der Spitze der CDU beschert. 97,9 Prozent Zustimmung, so viel Rückhalt wie nie für die Bundeskanzlerin. Steinbrück wird Merkel später als den „letzten Markenkern“ der CDU bezeichnen.

Niemand in der SPD will Merkels Ergebnis allerdings zur Messlatte für Steinbrück machen. Und doch hängen diese 97,9 Prozent von Anfang an wie eine Mahnung zur Geschlossenheit über den Genossen. „Er wird ein gutes Ergebnis bekommen“, sagte der rheinland-pfälzische Generalsekretär Alexander Schweitzer kurz vor Beginn des Parteitags. Ministerpräsident Kurt Beck nennt die Debatte der vergangenen Wochen über die Nebeneinkünfte Steinbrücks „überzogen“. An der Basis werde das gar nicht so hochgehangen, das sei vor allem „ein Medienthema“. Doch es sind auch andere Töne zu hören: Die Bundestagskandidaten sind merklich unruhig. Sie wollen, dass Steinbrück endlich aus der Defensive kommt. Dass er den Schalter umlegt.

Der Einmarsch des Kanzlerkandidaten ist denn auch noch kein Triumphzug. Umgeben vom SPD-Parteivorstand, schreitet Steinbrück langsam, fast bedächtig, in den Saal. Mit „Miteinander. Für Deutschland“ sind die Kulissen bedruckt. Der Begrüßungsapplaus fällt freundlich aus, verebbt aber schnell. Steinbrück muss die Genossen heute noch gewinnen.

Er holt weit aus, zieht die großen Linien nach: von der Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Widerstand im Nationalsozialismus. „Ja, ich bin stolz, ein Sozialdemokrat zu sein.“ Als hinter ihm ein Greenpeace-Aktivist ein Transparent gegen Kohlekraftwerke ausrollt, gerät Steinbrück kurz ins Stocken. Nicht schon wieder störende Zwischentöne, nicht jetzt. Er hatte gerade erst an Fahrt gewonnen.

Als Steinbrück Helmut Schmidt grüßt und der sich eine Zigarette anzündet, scheint der Bann jedoch vollends gebrochen. Steinbrück ist nicht ruppig wie sonst, den zuweilen schroffen Humor lässt er weg. Er gibt sich staatsmännisch. „Deutsche Politik muss wieder von Haltung und Werten bestimmt sein. Und das kann niemand besser als unsere Partei, die sich in ihrer langen Geschichte nie umbenennen musste.“ Er streichelt die Seele der Partei, mit der er früher oft hart ins Gericht ging (er bezeichnete Genossen als Heulsusen) und schlägt sozialpolitische Töne an. Gleiche Löhne für Männer und Frauen, eine Frauenquote für Führungspositionen in Unternehmen will er durchsetzen.

Der Zwischenapplaus fällt stark aus, wenn er auf soziale Gerechtigkeit zu sprechen kommt, er wird allenfalls freundlich, wenn er Steinbrück-typisch analytisch-philosophisch argumentiert. „Weniger Lohn, weniger Rechte, damit muss Schluss sein“ – das zieht. Manche Genossen sind überrascht über so viele konkrete Argumente für den Regierungswechsel. Die Auseinandersetzung über die Gesellschaftspolitik will Steinbrück zum Wahlkampfthema machen. Er beschreibt Fliehkräfte der Gesellschaft, das Auseinanderdriften von Arm und Reich, die „Entwertung von guter Arbeit durch Niedriglöhne“.

Kurz bevor das Ergebnis verkündet wird, ist es sehr still in der Messehalle. Die Genossen wissen, dass der Kandidat erneut beschädigt würde, wenn es zu schlecht ausfällt. 542 Delegierte stimmen für Steinbrück, 31 gegen ihn. Das entspricht einem Rückhalt von 93,45 Prozent. Das sind einige Prozentpunkte weniger, als Angela Merkel erhalten hat. Davon wollen die Genossen aber nichts hören. „Die Partei trägt ihn. Für uns hat jetzt der Bundestagswahlkampf begonnen“, kündigt SPD-General Schweitzer an. Er will jetzt „laufen und rennen“ für den Wahlkampf. Peer Steinbrück sieht entspannt aus nach diesem Parteitag. Er hat seine zweite Chance.

Rena Lehmann