RZ-KOMMENTAR: Mit dem Wackelkandidaten ist wieder zu rechnen

Rena Lehmann zur Kür des SPD-Kanzlerkandidaten

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Peer Steinbrück hat sich beim Parteitag in Hannover zurückgekämpft in einen Bundestagswahlkampf, der noch gar nicht offiziell begonnen hatte. Zwischenzeitlich hatte es in den vergangenen Wochen so ausgesehen, als müsste er schon als Verlierer vom Platz gehen, noch ehe das Spiel überhaupt richtig begonnen hatte. Die seit Wochen laufende Debatte um seine erheblichen Nebeneinkünfte durch gut bezahlte Vorträge führte schon so manchen Genossen ans Ende der Geduld. Erste Zweifel wurden laut, ob er noch der richtige Kandidat ist. Manchen galt er schon als „Problem-Peer“.

Steinbrück ist aber ein Kämpfer. Die Genossen hat er in seiner fast zweistündigen Rede besser von sich überzeugt als erwartet wurde. Selbstironisch, klug, bisweilen fast herzlich lief der Kandidat sich warm. Die Sozialdemokraten, die mit ihm so lange fremdelten, applaudierten nicht nur pflichtschuldig. Aus manchen Gesichtern sprach echte Begeisterung, bei manchen gar Überraschung. Steinbrück hat der SPD nämlich etwas erklärt, das sie seit Langem sucht. Die Sozialdemokraten wirkten bei Generaldebatten im Bundestag zuletzt oft schwerfällig darin, klar Stellung gegenüber der Regierungskoalition zu beziehen. Verzagt und entmutigt wirken die Genossen etwa, wenn sie darüber klagen, die Bundeskanzlerin schwebe so unangreifbar über den Dingen und biete keine Angriffsfläche.

Der Begriff der „Heulsusen“, wie Steinbrück die Genossen einst zu deren Verdruss nannte, ist da manchmal nicht unangebracht. Ausgerechnet Steinbrück sagte den Sozialdemokraten nun, wer sie sind und was sie wollen sollten, um sich abzuheben und klare Kante zu zeigen. Er beschrieb die Idee von einer Gesellschaft, wie die SPD sie gestalten möchte. Die gerecht ist und sozial, modern aber werteorientiert. Manchen Genossen dürfte all das eine lange nicht gehörte Musik in den Ohren gewesen sein. Sie dankten es mit einem Wahlergebnis, das zwar nicht an das von CDU-Parteichefin Angela Merkel heranreicht. Sie erhielt bei der Wiederwahl zur Parteivorsitzenden 97,9 Prozent der Stimmen. Aber die 93,5 Prozent sind genug Rückenwind für den Herausforderer.

Mit Steinbrück, dem Wackelkandidat der vergangenen Wochen, ist jedenfalls wieder zu rechnen.

E-Mail an die Autorin: rena.lehmann@rhein-zeitung.net