Washington

Proteste gegen die USA: Romney nutzt Attacke für Wahlkampf

Gewaltsamer Protest gegen islamfeindlichen Film: In Kairo kam es vor der US-Botschaft zu heftigen Zusammenstößen mit ägyptischen Polizeieinheiten. 
Gewaltsamer Protest gegen islamfeindlichen Film: In Kairo kam es vor der US-Botschaft zu heftigen Zusammenstößen mit ägyptischen Polizeieinheiten.  Foto: DPA

Barack Obama klang, als würde der Professor für Verfassungsrecht, der er einst war, einen vorlauten Studenten abkanzeln. „Gouverneur Romney scheint die Angewohnheit zu haben, erst zu schießen und später zu zielen“, stichelte er in einem CBS-Interview.

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Vorausgegangen waren übereilte Aussagen des Herausforderers im Duell ums Oval Office, die selbst Mitt Romneys Parteifreunde als verbale Fehlleistung einstufen. Noch bevor Demons-tranten die US-Botschaft in Kairo stürmten, warf der Republikaner den Diplomaten am Nil eine fatale Neigung zur Leisetreterei vor. In einem verzweifelten Beruhigungsversuch hatte sich die Vertretung von dem beleidigenden Film über den Propheten Mohammed distanziert: Man lehne es ab, wenn das Recht der freien Rede benutzt werde, um religiöse Gefühle zu verletzen. Für Romney lief es auf einen unverzeihlichen Kniefall hinaus. Es sei eine Schande, dass Obamas Regierung Sympathien mit den Angreifern erkennen lasse, statt die Attacken resolut zu verurteilen, wetterte er, wohlgemerkt, bevor die ersten Eindringlinge über die Botschaftsmauern kletterten. Als am nächsten Morgen die Nachricht vom Tod des amerikanischen Botschafters Christopher Stevens in Bengasi die Runde machte, legte der Kandidat nach, statt im Augenblick der Betroffenheit innezuhalten. „Für Amerikas Werte um Verzeihung zu bitten, ist niemals der richtige Kurs.“

Es war der Moment, in dem selbst Wohlwollenden der Geduldsfaden riss. Wer um Himmels Willen Romney geraten habe, am Tag nach dem Mord an einem US-Botschafter eine Breitseite gegen den Präsidenten abzufeuern, wollte Joe Scarborough wissen, einst republikanischer Abgeordneter, heute scharfzüngiger Fernsehkommentator.

Stevens‘ Tod, für die amerikanische Diplomatie markiert er eine Zäsur. Der letzte US-Botschafter, der im Dienst ums Leben kam, war Adolph Dubs, der 1979 bei einem Entführungsversuch in Afghanistan erschossen wurde. Die Unruhen werfen die Frage auf, ob sich der Arabische Frühling nicht eher als Bumerang erweist für die Interessen der Vereinigten Staaten. „In Ägypten haben wir einen Verbündeten verloren, und die Revolution dort kann sich noch als Neuauflage von ‚Iran 1979‘ erweisen“, schreibt der konservative Kolumnist Rich Lowry. 1978/79 hatte eine Welle des Volkszorns in Teheran den Schah vom Thron gespült und Ajatollah Khomeini an die Macht kommen lassen. Ist Mohammed Mursi, der neue Staatschef Ägyptens, ein, wenn auch moderaterer und obendrein sunnitischer, zweiter Khomeini? So lautet der Tenor der Fragen, die manche Volksvertreter auf Capitol Hill inzwischen stellen. Dass Mursi, von der Muslimbruderschaft nominiert, zunächst kein kritisches Wort zum Sturm auf die US-Mission fand, schien jene zu bestätigen, die das arabische Schlüsselland in eine antiamerikanische Richtung abdriften sehen. Obamas Kabinett versucht gegenzusteuern, allerdings ohne echte Einflussmöglichkeiten. Wie in den Zeiten des gestürzten Autokraten Hosni Mubarak leistet es Militärhilfe, nach aktuellem Stand 1,3 Milliarden Dollar pro Jahr. Demnächst soll der Nilrepublik 1 Milliarde Dollar an Schulden erlassen werden. Doch im Kongress, der letztlich über Finanzielles entscheidet, wird die Forderung lauter, die fiskalischen Stützen auf den Prüfstand zu stellen.

Es sind hitzige Debattenbeiträge, die Anthony Cordesman, den erfahrensten Nahostkenner am Center for Strategic and International Studies, zur Gelassenheit mahnen lassen. In Ländern wie Ägypten oder Libyen werde es noch Jahre dauern, bis nach dem Umbruch so etwas wie Stabilität einziehe. Geduld sei gefragt, verbunden mit langfristiger Hilfe. Im Übrigen, so Cordesman, möge man sich im Westen daran erinnern, wie lange einst der Europäische Frühling währte. 1789 habe der Sturm auf die Bastille Umwälzungen ausgelöst, die mindestens bis 1914 andauerten – und nicht einmal annähernd in Stabilität endeten.

Von unserem US-Korrespondenten Frank Herrmann