London

Konservative gehen mit Umfrageplus in die Wahlen – Labour hofft auf Wunder

Großbritannien zählt zu den ältesten Demokratien der Erde – am Donnerstag dürfen die Briten die Zusammensetzung des Unterhauses wieder neu bestimmen. Die Wahl könnte für Überraschungen sorgen.

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Von unserem Londoner Korrespondenten Alexei Makartsev

Immer dann, wenn Gordon Brown lächelt, fangen die Labour-Wahlstrategen an, sich Sorgen zu machen. Acht Millionen Briten erlebten zuletzt dieses unheimliche, unechte Lächeln auf ihren Fernsehbildschirmen, als der Regierungschef die dritte „historische“ Livedebatte mit den folgenden Worten abschloss: „Wir geben uns alle Mühe, unser Land auf den Weg des Aufschwungs zu bringen. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.“ Brown schaute direkt in die Kamera und presste verzweifelt seine Lippen zu einem Ausdruck von Optimismus zusammen. Er wusste, er hatte keinen Grund dazu. In diesem Moment müssen bei den Tories die Sektkorken geknallt haben.

Medien geben Premier auf

Nein, es gebe keine Panik in den Labour-Reihen, versicherte der Premier dem „Sunday Mirror“. „Ich bin nicht müde“, erklärte er trotzig. „Ich bin ein Kämpfer.“ Die Boulevardzeitung scheint die einzige zu sein, die Labour noch offen unterstützt. Kurz vor der Wahl am 6. Mai haben selbst loyale Medien wie der „Guardian“ den 59-jährigen Premier aufgegeben. Was könnte er jetzt noch bewirken, fragen sich selbst viele „Labour“-Anhänger. Sie finden keine Antwort. In jenem verbalen Live-Schlagabtausch im Fernsehen mit Nick Clegg und David Cameron in der Universität von Birmingham hatte Brown seine beste und vielleicht letzte Chance vertan, die Wähler zu beeindrucken, Zuversicht zu verströmen und seine stockende Kampagne anzustoßen.

Camerons Partei geht in die Zielgerade des Wahlsprints mit einem soliden Vorsprung von acht Prozent in den Umfragen. Allerdings bezweifeln viele Analysten, dass der „staatsmännisch“ wirkende Cameron aus eigener Kraft eine neue Regierung bilden kann. Sein versprochener konservativer „Wandel“ für Großbritannien ist in der Schwebe.

Laut Soziologen haben sich 46 Prozent der Wähler noch immer nicht entschieden. Die drei Fernsehduelle haben dem Chef der mitte-links-orientierten Liberaldemokraten, Nick Clegg, einen starken Auftrieb um 8 Zähler auf 26 Prozent gegeben, der ihn zu einem möglichen Koalitionspartner für die Tories qualifiziert.

In dieser Situation kann die Regierungspartei, die alle ihre Trümpfe ausgespielt hat, nur noch auf ein Wunder hoffen. Labour pendelt in den Umfragen um 28 Prozent herum. Es ist zu wenig, um sich an der Macht zu halten. Brown hatte zuletzt sein Interesse an einer Allianz mit Clegg signalisiert.

Anders als ihre Parteibasis scheint jedoch die Führung der Libdems eine Zusammenarbeit mit Cameron zu bevorzugen. Sollten die „Königsmacher“ sich am Ende für Labour entscheiden, würden sie als Preis dafür eine andere Figur an der Spitze der Koalition und in der Downing Street Nummer zehn verlangen, glauben die Beobachter in London. Gordon Browns Tage als Premier scheinen damit gezählt.

So alarmiert muss der 59-jährige Schotte angesichts seiner Schlussposition im Wahlrennen sein, dass er sogar seinen Parteikollegen und früheren Intimfeind Tony Blair ins Spiel gebracht hat. Blairs Aufgabe ist es, die Parteibasis zu mobilisieren und das angeblich gefährliche Wahlprogramm der Opposition zu entlarven.

Zweifel an Browns Charakter

Ob der charismatische Ex-Premier jedoch 13 Jahre nach seinem Erdrutschsieg für „New Labour“ der mutlosen Regierungstruppe viel nützen kann, ist fraglich: Viele Briten haben Blair den Irakkrieg nicht vergeben, und sie finden es falsch, dass der Sonderbeauftragte des Nahost-Quartetts sich mit „Motivationsreden“ in aller Welt ein Millionenvermögen verdient.

Auf dem Höhepunkt der Kampagne hatte Brown sein Ansehen durch die Beleidigung einer älteren Labour-Wählerin beschädigt. Die Blamage hat die öffentlichen Zweifel an seinem Charakter verstärkt. Er flieht nach vorn. Immer düsterer wirkt sein Wahlkampf, der sich auf die eindringlichen Warnungen vor den angeblich drastischen sozialen Einschnitten der Tories konzentriert. „Ich kämpfe nicht um mich selbst, sondern um die britische Zukunft“, wiederholt er immer wieder – und scheint die Augen vor der Tatsache zu verschließen, dass sich viele Briten diese Zukunft mit ihm nicht mehr vorstellen können.

Wenige Monate nach der schwersten Rezession seit 60 Jahren, die sich nur um den Preis eines um 165 Milliarden Pfund gewachsenen staatlichen Schuldenbergs beenden ließ, wächst im Königreich der Wunsch nach Veränderungen. Auch Labour verspricht den Bürgern Reformen. Doch sind es heute die Oppositionsführer Clegg und Cameron, die den Wandel verkörpern, der mit einem drastischen Sparkurs einhergehen wird.

In den Debatten, die sich um Jobs, Steuern, Gesundheitswesen und Einwanderung gedreht haben, achteten alle drei Parteien darauf, möglichst wenig über ihre Finanzpläne zu verraten, um sich keine Blöße zu geben. Die Briten sind besorgt, dass sie die Senkung des Haushaltsdefizits (derzeit gut 13 Prozent) teuer bezahlen müssen.

Nach letzten Prognosen ist erstmals seit 1974 ein sogenanntes „hung parliament“ wahrscheinlich, in dem die Pattsituation durch Neuwahlen oder die in Großbritannien unübliche Bildung von Koalitionen gelöst werden könnte. Für viele Wirtschaftsexperten wäre eine Machtteilung der schlimmste aller Wahlausgänge. Sie befürchten, dass eine Koalitionsregierung weder stabil wäre, noch den nötigen Einfluss haben würde, um unpopuläre Sparmaßnahmen durchzusetzen.