Schwarz, „grün“, sozial, weltoffen: „Neue Tories“ wollen Großbritannien regieren
Staines – Kwasi Kwarteng knöpft sein Jackett zu, er legt seine großen Hände auf die Oberschenkel und schwingt für das Foto den Körper nach hinten, bis sein Gesicht in der Mitte zwischen den Porträts der Queen und des Tory-Chefs David Cameron an der Wand erscheint.
Hier, zwischen Tradition und Moderne, scheint sich der 34-jährige Sohn zweier armer Einwanderer aus Ghana sehr wohl zu fühlen. In Kürze könnte Kwasi als Abgeordneter des wohlhabenden Londoner Vororts Staines in das frisch gewählte Parlament einziehen. „Ich bin das neue Gesicht der fortschrittlichen britischen Konservativen. Die Leute finden das gut“, sagt selbstbewusst der dunkelhäutige Thatcher-Fan, der in Cambridge und Harvard Geschichte studiert hat.
Kwasi spricht Deutsch. Bis 2008 hatte er als „glücklicher Banker“ für die deutsche WestLB in der Londoner City gearbeitet. Dann beschloss er, den einträglichen Job einzutauschen gegen ein „schöneres Gefühl, dass du deinem Land hilfst, sozialer und erfolgreicher zu werden“. Ausgerechnet zu einer Zeit, in der viele Briten ihrer durch die Spesenaffäre in Westminster kompromittierten Demokratie den Rücken zukehren, drängt es den smarten Londoner in die Politik. Kwasi glaubt an die konservativen Ideale eines schlanken Staats mit niedrigen Steuern und viel Unternehmerfreiheit, in dem die Bürger ihre Leben in die Hand nehmen. Der „neue Tory“ schreibt an einem Buch über das Ende des Britischen Imperiums. Es wird warten müssen. Kwasi hat es eilig damit, unter der Regie von Cameron seinem Land den „großen Wandel“ nach 13 Jahren Labour zu bringen.
Camerons „Obama-Armee“ marschiert
Er ist nicht der Einzige unter den konservativen Neuzugängen, der ganz und gar nicht dem Klischee vom „reinrassigen“, weißen, wohlhabenden Elite-Tory entspricht. In London-Hammersmith kandidiert ein ehemaliger Türsteher für das Parlament. „Ich komme aus der schwarzen Arbeiterschicht. Meine Mutter hat mich in einer Sozialwohnung alleine großgezogen“, stellt sich der 39 Jahre alte Shaun Bailey in einer Broschüre vor. In Shakespeares Heimat, Stratford-upon-Avon, kämpft der im Irak geborene Kurde Nadhim Zahawi um ein Mandat. In Surrey hat sich der 33-jährige Banker Sam Guyimah mit Wurzeln in Ghana um ein Mandat beworben.
Die Journalisten nennen sie Camerons „Obama-Armee“. Der 43 Jahre alte Parteimodernisierer hat seine angekündigte Tory-Revolution in die Tat umgesetzt und 44 Vertreter der ethnischen Minderheiten ins Wahl-Rennen geschickt. Lediglich zwei der 210 konservativen Abgeordneten im Parlament gehören heute zu dieser Gruppe. Der Reformehrgeiz Camerons reicht noch weiter: So will der mögliche künftige Premier die Zahl seiner Parlamentarierinnen von derzeit 18 verfünffachen und die Fraktion radikal verjüngen.
Die „neuen Tories“ – dazu gehören auch der 37 Jahre alte Ex-Soldat Rory Stewart, der 15 Millionen Pfund für die afghanischen Armen gesammelt hat und die erst 27-jährige Unternehmerin Chloe Smith, die 2009 nach einer Nachwahl die jüngste Westminster-Abgeordnete seit mehr als 30 Jahren geworden war.
Milliardärs-Erbe predigt Konsumverzicht
Die Folgen der „Frischzellenkur“ bei den Tories sieht man im Londoner Wahlbezirk Richmond Park, in dem der 35-jährige Kandidat Zac Goldsmith gegen die Liberaldemokraten kämpft. Wie viele seiner Parteigenossen hatte der große, blonde Zac die Eliteschule Eton besucht. Der Erbe des Milliardärs Sir James Goldsmith war bis 2009 mit der Millionärstochter Sheherazade Bentley verheiratet. Es ist seine Leidenschaft für den Umweltschutz, die den Ex-Herausgeber der Zeitschrift „Ecologist“ von den „alten Konservativen“ unterscheidet. „Wir stehen vor einer Krise. Immer mehr Menschen, immer mehr Konsum drängen unsere Natur an den Rand des Zusammenbruchs. Der Markt muss sich vom Feind der Umwelt in deren Freund verwandeln“, predigt Zac in seinem Wahlbüro zwischen den Bergen von Wahlpostern.
Als neues, „grünes Gewissen“ seiner Partei wirbt Goldsmith für plastiktütenfreie Städte und die Einführung von „gesunden Kochkursen“ in Schulen, die eigene Lern-Bauernhöfe eröffnen sollen. Er hat geschworen, den geplanten Ausbau des Flughafens Heathrow im Südwesten Londons zu verhindern – oder aber im Falle eines Misserfolgs als Abgeordneter zurückzutreten. Auch Zacs ehemaliger Schulkamerad Kwasi Kwarteng in Staines ist gegen die Heathrow-Expansion. „Ich muss aber mit dieser Forderung vorsichtig sein“, sagt der Schwarze lächelnd. „Viele meiner Wähler arbeiten auf dem Flughafen, sie werden das nicht so gerne hören“.
von RZ-Korrespondent Alexei Makartsev