Rheinland-Pfalz

Immer mehr Kreise geraten in die Schuldenfalle

Bund und Land wälzen Kosten auf die Kommunen ab - Immer mehr Kreise geraten in die Schuldenfalle.
Bund und Land wälzen Kosten auf die Kommunen ab - Immer mehr Kreise geraten in die Schuldenfalle. Foto: DPA

Im Norden des Landes hat sich angesichts der miserablen Finanzlage der Kommunen Widerstand formiert. Der Kreis Neuwied klagt gegen das Finanzausgleichsgesetz – und fordert für das Haushaltsjahr 2007 vom Land Nachzahlungen. Sein Argument: Für seine Aufgaben bekommt der Kreis viel zu wenig Geld.

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Rheinland-Pfalz – Im Norden des Landes hat sich angesichts der miserablen Finanzlage der Kommunen Widerstand formiert. Der Kreis Neuwied klagt gegen das Finanzausgleichsgesetz – und fordert für das Haushaltsjahr 2007 vom Land Nachzahlungen. Sein Argument: Für seine Aufgaben bekommt der Kreis viel zu wenig Geld.

Das Koblenzer Verwaltungsgericht hatte die Klage abgewiesen. Aber das Oberverwaltungsgericht schrieb dem Land Aufsehenerregendes ins Stammbuch. Tenor: Der kommunale Finanzausgleich ist verfassungswidrig. Die Richter hielten zudem fest: Die Schlüsselzuweisungen müssen zumindest so hoch sein, dass sie die Hälfte der vor allem im Sozialetat anfallenden Kostensteigerungen auffangen. Jetzt richten Kreise wie das Land den Blick auf den Verfassungsgerichtshof in Koblenz, der am Montag das Problem in öffentlicher Verhandlung aufgerufen hat.

Die Ausgangslage: Die kommunalen Finanzen im Land sind desaströs. Die Kommunen häufen ungewollt horrende Schuldenberge an. Allein die 24 Landkreise haben 2011 gut 1,4 Milliarden Euro kurzfristige Schulden gemacht, um allein das laufende Verwaltungsgeschäft zu bewältigen. Das sind gegen über 2010 fast 300 Millionen Euro mehr. Die Ursache liegt nicht in teuren Prestigeprojekten. Gemeinden, Städte und Kreise verschulden sich immer mehr, weil ihnen vor allem Bundesgesetze immer mehr Pflichtaufgaben auflasten – vor allem im Sozialbereich. Dabei ist der Neuwieder Landrat Rainer Kaul (SPD) überzeugt: „Die Behindertenhilfe gehört auf die Bundesebene.“ Die zusätzliche Klemme der Kreise: Sie haben so gut wie keine eigene Einnahmequelle. Sie sind auf Zuweisungen und die Umlage angewiesen.

Zu den besonders Betroffenen gehört der Kreis Neuwied: Die große kreisangehörige Stadt Neuwied mit etwa 65 000 Einwohnern bringt entsprechend viele soziale Problemfällen mit. Zudem wirkt sich die Tatsache aus, dass der Kreis überdurchschnittlich viele Sonderschulen in seiner Trägerschaft hat. Aber auch bei den meisten anderen Kreisen geht es rapide bergab, Ahrweiler stöhnt im Norden ebenso wie Birkenfeld im Süden. Beim Verwaltungsgericht Koblenz ruhen wegen des Neuwieder Grundsatzverfahrens acht Verfahren aus Kreisen und Verbandsgemeinden.

Was die Kommunen in den Ruin treibt, sind nicht unbedingt die wachsenden Aufgaben. Ihnen fehlt schlicht das Geld, das nach dem in der Landesverfassung verankerten Konnexitätsprinzip (wer bestellt, der bezahlt) eigentlich aus Berlin über Mainz in die Kassen der Kommunen fließen müsste. Doch das strömt schon seit Jahren zu sparsam, beklagt auch der Gemeinde- und Städtebund. Das machen zwei Zahlen deutlich: Während die Sozialausgaben der Kreise von 1990 bis 2007 um 325 Prozent gestiegen sind, hat das Land im gleichen Zeitraum seine Zuweisungen nur um 27 Prozent erhöht.

Bund und Land wälzen nicht nur immer mehr soziale Aufgaben (ohne Finanzausgleich) auf die Kommunen ab. Mainz zieht sich auch Stück für Stück aus der Verantwortung, wie am Beispiel Neuwied deutlich wird: Lag die Beteiligung an den Kosten für die Jugendhilfe 2002 noch bei 25 Prozent, so beträgt sie aufgrund von Budgetierung und Quotierung heute nur noch 14,2 Prozent. Unterm Strich fehlen dem Kreis 8,1 Millionen Euro. Weitere Zahlen verdeutlichen das: Aktuell drücken den Kreis kurzfristige Verbindlichkeiten in Höhe von etwa 150 Millionen Euro. 2012 kommen wohl weitere 20,5 Millionen hinzu, denn so groß ist das kalkulierte Minus im Etat. Für Kaul steht nicht nur deshalb fest: „So kann es nicht weitergehen.“

Das Land reagierte bislang immer reflexartig: Es empfahl stets, Einsparungen zu forcieren, die freiwilligen Ausgaben zu prüfen oder sich das Geld über die Umlage von den Kommunen zu holen. Aber die sind inzwischen nicht nur im Kreis Neuwied hinreichend geschröpft und ausgeblutet. Kaul: „Nur noch vier von 62 Kommunen können ihren Haushalt ausgleichen.“

Von unseren Reakteuren Ralf Grün und Ursula Samary