Rheinland-Pfalz

Hunger und Armut trieben viele fort: Von 1820 bis 1930 wanderten 5,4 Millionen Deutsche in die USA aus

Es ist ein typisches und doch so tragisches Schicksal: Im April 1853 besteigen in einem europäischen Auswandererhafen fünf Rheinland-Pfälzer das Schiff „Northumberland“: Johann Lahn, geboren am 7. März 1826 in Alflen in der Eifel, sein Cousin und dessen Frau sowie ihre Kinder, die dreijährige Barbara und ein Säugling namens Johann.

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In den USA, vermutlich New York, Castle Garden kommen Wochen später nur noch drei Eifeler an: Die dreijährige Barbara ist wohl schon auf dem Weg zum Hafen ums Leben gekommen. Auf der Schiffliste taucht nur noch der Name des Säuglings Johann auf. Dahinter steht: Died on Voyage, gestorben während der Reise.

„Wie schrecklich – die Eltern verließen ihre Heimat mit zwei Kindern und kamen allein in Amerika an, mussten ihre beiden Kinder unterwegs begraben oder über Bord werfen“, schreibt uns Sabine Niemeyer aus Alflen. Johann Lahn, der der Patenonkel des kleinen Säuglings war, ist der Bruder der Ururgroßmutter von Sabine Niemeyer.

Heute hat die Eifelerin wieder Kontakt zu den Nachfahren von Johann Lahn. Er ließ sich damals im US-Bundesstaat Wisconsin nieder – und heiratete interessanterweise Anna Maria Hendges, die aus seinem Nachbarort Auderath ungefähr zur selben Zeit in die USA ausgewandert war.

Niemeyer hat ein Buch über die Auswanderer in ihrer Familie geschrieben. Das Schicksal der Kinder fand sie besonders erwähnenswert, auch weil es damals viele Familien ereilte: „So und ähnlich erging es vielen, wie ich bei meiner zehnjährigen Suche feststellen musste.“

Doch warum nahmen damals so viele Menschen eine so beschwerliche Reise auf sich und setzten dabei ihr Leben und das ihrer Kinder aufs Spiel? Nun, es waren vor allem wirtschaftliche und soziale Gründe, die zwischen 1820 und 1930 rund 5,4 Millionen Deutsche in die Neue Welt trieben.

Eine Massenauswanderung aus Rheinland-Pfalz gab es jedoch vor allem in den Jahren 1846 bis 1857 sowie 1864 bis 1873, schreibt der Mainzer Historiker Dr. Helmut Schmahl in seinem Beitrag zu dem Sammelband „Aufbruch nach Amerika“.

Darin heißt es: „Für den deutschen Massenexodus des 19. Jahrhunderts waren ebenso wie im Jahrhundert zuvor die misslichen wirtschaftlichen Verhältnisse von Kleinbauern, Gewerbetreibenden und Handwerkern verantwortlich, die durch Ernteausfälle und Teuerungskrise oft prekäre Ausmaße annahmen.“ Hinzu kam laut Schmahl ein starkes Bevölkerungswachstum – Folge der durch die verbesserte medizinische Versorgung gesunkenen Sterberate und einer stark gestiegenen landwirtschaftlichen Produktion.

Doch gerade in der Landwirtschaft führte die Bevölkerungsexplosion zu verheerenden Problemen. Denn seit der napoleonischen Zeit galt in vielen Landesteilen die Realteilung, bei der alle Erben gleichgestellt wurden. Die Folge: Die Agrarfläche zersplitterte und reichte vielen nicht mehr für den Lebensunterhalt. Hinzu kam laut dem Historiker, dass viele Handwerksberufe wegen der Gewerbefreiheit überbesetzt waren, besonders in der Textilindustrie, die ohnehin unter den Billigimporten aus England litt. „Viele Kleinbauern und Handwerker mussten sich als Taglöhner oder Saisonarbeiter verdingen.“

Technischer Wandel, politische Veränderungen und jahrelange Missernten

Verschärft wurde die Situation im Zeitalter des Pauperismus in den 1840er- und 1850er-Jahren, als Missernten die Preise für Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln und Brot in die Höhe trieben. Ganze Gemeinden wanderten nach Amerika aus. Einige Gemeindevorstände zahlten sogar für die Überreise ihrer Bürger, um Kosten für die Unterstützung der Armen zu vermeiden.

Bis heute sind die Folgen der Auswanderung zu spüren. Viele Amerikaner haben deutsche Vorfahren. Bei einer Volkszählung im Jahr 2000 gaben fast 43 Millionen Amerikaner an, dass sie von „Germans“ abstammen.

Von unserem Redakteur Christian Kunst