Berlin

Glücksatlas: Was ist es, das uns wirklich glücklich macht?

Die Ökonomen unter den Glücksforschern haben herausgefunden: Geld macht wirklich nicht glücklich. Stattdessen steigern Geselligkeit und Naturerlebnisse die Zufriedenheit. Und vor allem eine intakte Partnerschaft.

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Zum Glück gibt es die Post: Ohne das großzügige Sponsoring des Bonner Konzerns wäre die Glücksforschung hierzulande sehr viel uninteressanter. Die Post bezahlt seit einigen Jahren ein Forscherteam um die Freiburger Ökonomen Bernd Raffelhüschen und Johannes Vatter dafür, dass es jedes Jahr einen „Glücksatlas“ für Deutschland erstellt.

Demnach leben die glücklichsten Deutschen in Hamburg. Am zweitglücklichsten sind die Düsseldorfer, am drittglücklichsten die Dresdner – während die Stadt Essen im Städteranking der Glücksforscher mit Platz 13 den letzten Rang belegt.

Ostdeutschland liegt hinten

Auch bei den untersuchten 19 deutschen Regionen liegt der Nordwesten vorn: Die Regionen Hamburg und Niedersachsen belegen die beiden vorderen Plätze, Rheinland-Pfalz liegt auf Platz sieben, die Regionen Nordrhein und Westfalen rangieren auf den soliden mittleren Rängen neun und zehn, während die ostdeutschen Regionen allesamt auf hinteren Plätzen zu finden sind.

Das Team um Raffelhüschen und Vatter wertete aktuelle repräsentative Befragungen von mehr als 30 000 Menschen aus. Als „Glück“ definierten die Forscher so etwas wie die allgemeine Lebenszufriedenheit. Um herauszufinden, wie zufrieden die Menschen mit ihrem Leben sind, fragten die Forscher nach den vier großen Gs: „Geld“, „Gesundheit“, wobei auch die Qualität des Gesundheitssystems eine Rolle spielte, „Gemeinschaft“, wobei es um die persönliche Gebundenheit an Partner, Familie und Freunde ging, und die „genetische Disposition“, also die Frage, ob jemand eher optimistisch oder pessimistisch veranlagt ist.

Hamburg und Düsseldorf erlangten nicht nur Spitzenwerte, weil sie zu den reichsten Städten gehören, sondern auch, weil sie auf Gebieten, die weniger Geld kosten, punkten konnten. Düsseldorfer etwa schätzen die guten Naherholungsmöglichkeiten, die Luft- und Wasserqualität und das überdurchschnittliche Sportangebot.

Auch in Hamburg erhöhen die guten Umweltbedingungen die Lebenszufriedenheit, das reichhaltige Kulturangebot und die Sportereignisse tun ein Übriges. Trotz ihres Spitzenplatzes zeigen sich die Hanseaten allerdings unzufrieden mit dem zu geringen Angebot an Kinder- und Seniorenbetreuungseinrichtungen. Interessant: Die hohe Wirtschaftskraft ihrer Städte spielt für die Bewohner Düsseldorfs und Hamburgs eine eher untergeordnete Rolle.

Wer genug Geld zum Leben hat, den macht mehr Geld nicht unbedingt glücklicher – diese Erkenntnis zieht sich auch durch viele andere Studien der Glücksforschung, die seit einigen Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Die Frage, was die Menschen wirklich glücklich macht, beschäftigt heute nicht mehr nur Soziologen, Psychologen oder Philosophen, sondern zunehmend auch die Ökonomen.

Der „Wachstums-Fetischismus“

Jahrzehntelang fokussierten sich die Wirtschaftswissenschaftler auf das jährliche Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einer Gesellschaft, um damit auszudrücken, wie es ihr gerade geht. Doch dieser „Wachstums-Fetischismus“, wie ihn der US-Ökonom Joseph Stiglitz bezeichnet hat, führt zu vielerlei Fehlschlüssen, denn reiche Gesellschaften werden nicht glücklicher dadurch, dass sie noch reicher werden. Eine Politik, die vor allem auf das Wachstum des BIP ausgerichtet sei, verfehle ihr eigentliches Ziel, die Menschen eines Landes glücklicher zu machen, lautet die Kritik.

Schon 2008 hatte der frühere französische Regierungschef Nicolas Sarkozy die Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Armatya Sen beauftragt, einen Ersatz für den Fetisch BIP-Wachstum zu finden. Ihr Ergebnis: Das Wohlbefinden einer Nation lasse sich nicht allein an der Entwicklung der Produktion ablesen. Hinzukommen müssten Messungen vieler anderer Lebensbedingungen. Sen und Stiglitz nannten dafür folgende Dimensionen: materieller Lebensstandard (Einkommen, Konsum, Vermögen), Gesundheit, Bildung, persönliche Tätigkeiten einschließlich der Arbeit, politische Einflussmöglichkeiten und Qualität der Regierung, soziale Verbindungen und Beziehungen, gegenwärtige und künftige Umweltbedingungen sowie die ökonomische und physische Sicherheit der Menschen.

Die neue Glücksformel wird also vielschichtig sein. Auch im Bundestag wird nach ihr gesucht: Seit Anfang 2011 gibt es die Enquete- Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. Ihr Ziel ist ein neuer Maßstab für die deutsche Politik. Und hier kommen Raffelhüschen und Vatter wieder ins Spiel. Auch aus ihren Forschungen ergibt sich, dass die Steigerung der Wirtschaftsleistung die Menschen einer Region nicht unbedingt deutlich glücklicher macht. Zwar seien die Bürger dort, wo das Pro-Kopf- Einkommen besonders hoch ist, im Schnitt auch glücklicher als anderswo, aber der positive Effekt sei verhältnismäßig klein. „Der Mensch gewöhnt sich schnell an mehr Konsum“, sagt Vatter. Sicherheit ist wichtiger als Geld

US-Studien haben ergeben, dass die Zufriedenheit ab einem Jahreseinkommen von 75 000 Dollar (58 000 Euro) nicht mehr signifikant zunimmt. Ein viel entscheidenderer Faktor für die regionale Zufriedenheit sei die Lage am Arbeitsmarkt: Wo die Menschen sicher sein könnten, dass sie im Falle von Arbeitslosigkeit schnell wieder einen neuen Job bekämen, fühlten sie sich generell besser. Dies sei auch einer der Gründe dafür, dass die Glücksergebnisse in Ostdeutschland so gering sind.

Sehr wichtig sei auch das Vertrauen in den Rechtsstaat: Wo sich die Menschen sicher fühlten und noch dazu darauf vertrauen könnten, dass Regeln auch eingehalten würden, seien sie generell zufriedener. Staaten, die durch Umverteilung ein höheres Maß an Gleichheit herstellen und überdies viel für den Umweltschutz tun, sorgen für eine höhere Zufriedenheit ihrer Bürger. Kein Wun- der also, dass Länder wie Dänemark, Schweden und Norwegen seit Jahren die internationale Glücks- Rangliste anführen. Deutschland findet sich in der Europäischen Union dagegen eher im Mittelfeld wieder.

Wichtig ist offenbar auch das Lebensalter: Während es bei jungen Menschen in den Umfragen eher weniger Unterschiede gibt, outen sich die über 50-Jährigen entweder als eher glückliche oder unglückliche Menschen. Hier spielt also die Lebensbilanz bereits eine Rolle: Wer in den eigenen Augen etwas erreicht hat, wer etwas aus seinem Leben gemacht hat, ist glücklicher.

Von unserer Berliner Korrespondentin Birgit Marschall