Rom/München

Der Brief des emeritierten Papstes: Der Versuch einer Entschuldigung

Von Michael Defrancesco
Der Brief von Benedikt XVI. zum Münchner Missbrauchsgutachten ist da – aber die katholische Welt ist unschlüssig, ob es sich jetzt um eine Entschuldigung und Übernahme von Verantwortung handelt oder nicht. Der emeritierte Papst schreibt nicht ganz so eindeutig.  Foto: dpa
Der Brief von Benedikt XVI. zum Münchner Missbrauchsgutachten ist da – aber die katholische Welt ist unschlüssig, ob es sich jetzt um eine Entschuldigung und Übernahme von Verantwortung handelt oder nicht. Der emeritierte Papst schreibt nicht ganz so eindeutig. Foto: dpa

Schon lange wurde ein päpstlicher Brief nicht mehr so sehr erwartet – jetzt ist er da: Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat sich zum Münchner Missbrauchsgutachten geäußert. Und die Verwirrung ist groß: Ist dieser Brief nun eine Entschuldigung und die Übernahme von Verantwortung? Oder doch nicht?

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Die Benedikt-Fans sprechen umgehend von einem „Befreiungsschlag“ und sehen alles wieder in paradiesischer Ordnung – für die Reformer sind mit diesem Schreiben aber immer noch alle entscheidenden Fragen offen.

Wer das Schreiben anschaut, bemerkt: Am Beginn des Briefes geht es nicht um Missbrauchsopfer oder Täter, sondern Benedikt kreist um sich selbst: „Zunächst möchte ich ein Wort herzlichen Dankes sagen. Ich habe in diesen Tagen der Gewissenserforschung und Reflexion so viel Ermutigung, so viel Freundschaft und so viele Zeichen des Vertrauens erfahren dürfen, wie ich es mir nicht hätte vorstellen können“, schreibt der Papa Emeritus. Und weiter: „Besonders danken möchte ich der kleinen Gruppe von Freunden, die selbstlos für mich meine 82-seitige Stellungnahme für die Kanzlei verfasst hat, die ich allein nicht hätte schreiben können.“ Benedikt klärt also auf, dass nicht er selbst die Antworten auf die Fragen der Gutachter schrieb, sondern „eine kleine Gruppe von Freunden“.

„Versehen bei Riesenarbeit“

„Bei der Riesenarbeit jener Tage – der Erarbeitung der Stellungnahme – ist ein Versehen erfolgt, was die Frage meiner Teilnahme an der Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 betrifft“, schreibt Benedikt XVI. „Dieser Fehler, der bedauerlicherweise geschehen ist, war nicht beabsichtigt und ist, so hoffe ich, auch entschuldbar. Es ändert nichts an der Sorgfalt und an der Hingabe an die Sache, die den Freunden selbstverständliches Gebot war und ist. Dass das Versehen ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustellen, hat mich tief getroffen“, schreibt Benedikt weiter.

Nachdem Benedikt sich an den Vorwürfen ihm gegenüber abgearbeitet hat, schreibt er: „Dem Wort des Dankes muss aber nun auch ein Wort des Bekenntnisses folgen.“ Und weiter: „Wir bitten den lebendigen Gott vor der Öffentlichkeit um Vergebung für unsere Schuld, ja, für unsere große und übergroße Schuld.“ Benedikt erinnert an die Begegnungen mit Missbrauchsopfern, die er hatte. Weiter schreibt er: „Ich habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen. Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind.“

Mancher Lesende hält kurz inne und fragt sich: Ist das jetzt eine Entschuldigung für etwaiges eigenes Fehlverhalten, oder wälzt Benedikt XVI. im Gegenteil gerade alle Verantwortung nach links und rechts ab? Im katholischen Schuldbekenntnis beklagen die Gläubigen vor Gott, dass sie „Gutes unterlassen und Böses getan haben“. Heißt: Auch das Unterlassen guter Taten ist in katholischen Kreisen nicht so gern gesehen. Die Frage tut sich also auf: Hätte Benedikt XVI. mehr tun müssen?

Dann wird es sehr persönlich: „Ich werde ja nun bald vor dem endgültigen Richter meines Lebens stehen. Auch wenn ich beim Rückblick auf mein langes Leben viel Grund zum Erschrecken und zur Angst habe, so bin ich doch frohen Mutes, weil ich fest darauf vertraue, dass der Herr nicht nur der gerechte Richter ist, sondern zugleich Freund und Bruder.“ Dann gibt es noch den Segen für alle – und der Brief ist beendet.

Unterschiedliche Reaktionen

Die Reaktionen auf den Brief kamen prompt und fielen durchwachsen aus. Kardinal Reinhard Marx äußerte sich nur knapp: Er begrüße den Brief und nehme das Gutachten weiterhin sehr ernst. Ausführlich äußerten sich die deutschen Theologen. Kirchenrechtler Thomas Schüller bemängelte, dass der emeritierte Papst nach wie vor keine persönliche Verantwortung übernehme. „So, als hätten anonym bleibende Mächte und Gewalten diese Fehler gemacht“, sagte Schüller.

Der Präventionsexperte Pater Hans Zollner sah im Brief ein Spiegelbild für Benedikts Umgang mit dem Thema Missbrauch: Zuerst bedanke er sich bei seinen Freunden, dann erst wende er sich den Opfern zu. Und: Er spanne einen großen theologischen Rahmen, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Er erkenne in dem Text aber den Ausdrucksstil des Emeritus wieder. „Das ist jetzt er“, erklärte Präventionsexperte Zollner.

Der konservative Theologe und emsige Benedikt-Verteidiger Manfred Lütz feierte die Erklärung erwartungsgemäß als „Befreiungsschlag“. Benedikt übernehme die Verantwortung für das, was in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising an Schrecklichem geschehen ist, sagte er. Die ursprüngliche Stellungnahme kritisierte Lütz als „ganz unangemessen juristisch“. Hier habe die moralische und persönliche Komponente gefehlt.

Dieser Rüffel von Lütz geht an das juristische Team von Benedikt, das mit dem Brief auch einen Faktencheck veröffentlichte. Darin schreiben sie unter anderem: „In keinem der Fälle, die das Gutachten untersucht, hatte Joseph Ratzinger Kenntnis von Taten oder vom Tatverdacht sexuellen Missbrauchs der Priester. Das Gutachten präsentiert keine Beweise dafür, dass es sich anders verhält.“

Die Diskussion geht also weiter. Und Papst Franziskus? Der hüllt sich weiterhin öffentlich in Schweigen.

Eine Analyse von unserem Redakteur Michael Defrancesco