Atomunfall: Wie gut sind wir in Rheinland-Pfalz geschützt?
Von unserer Chefreporterin Ursula Samary
Konkrete Zeitpläne werden aber nicht genannt. Dabei stehen vor den Grenzen des Landes die als Schrottreaktoren kritisierten Atomkraftwerke Cattenom (Frankreich) und Tihange (Belgien).
Nach Recherchen unserer Zeitung gilt ein von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier erarbeiteter und von Landräten teils heftig kritisierter Katastrophenschutzplan für die Umgebung von Kernkraftwerken vom Mai 2011 als überholt. Doch auch fünf Jahre nach dem GAU von Fukushima, der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Atomausstieg veranlasste, steht er in wichtigen Fragen immer noch „auf dem Prüfstand“. Die Überarbeitung in einem ressortübergreifendem Projekt unter Federführung des Innenministeriums sei „sehr komplex“, heißt es dazu erklärend in Mainz.
Rheinland-Pfalz ist von vier Atomkraftwerken direkt umgeben. Alle gelten als nicht sicher. Tschernobyl und Fukushima haben gezeigt was passieren kann, sollte es zum GAU in einem der Atomkraftwerke kommen. Wie stehen Sie zur Atomkraft?
Evakuierungsradius vergrößert
Fest steht bisher: Der Evakuierungsradius wurde von 10 auf 20 Kilometer verdoppelt, rund um Cattenom auf 25 Kilometer erweitert. Zum Vergleich: Rund um Tschernobyl gilt noch immer ein Sperrbezirk von 30 Kilometern. Das rheinland-pfälzische Innenministerium geht davon aus, dass bei einem Atomunfall rund um Cattenom maximal 2400 Personen flüchten müssen; der betroffene Kreis Trier-Saarburg rechnet dagegen mit 7000 Personen. Diverse Landkreise bestätigen, dass die ADD sie aufgefordert hat, Listen von Unterkünften vorzuhalten, um Atomflüchtlinge aufzunehmen.
Das gilt nicht nur für Cattenom. Käme es im baden-württembergischen AKW Phillipsburg, das wegen möglicherweise gefälschter Prüfkontrollen ins Gerede gekommen ist, zu einem schweren Reaktorunglück, hätte dies dramatische Folgen. Dann „müssen in einer 20 Kilometerzone auf rheinland-pfälzischem Gebiet etwa 300 000 Menschen evakuiert und möglicherweise sogar auf Dauer umgesiedelt werden“, erklärt das Mainzer Ministerium.
Mehr Jodtabletten
Nach Vorgaben der Innenministerkonferenz von 2014 müssen alle Länder „mindestens für ein Prozent ihrer eigenen Bevölkerung Unterbringungsmöglichkeiten für Betroffene einer Evakuierung vorplanen“. So könnten etwa 800 000 Plätze bundesweit bereit stehen. Laut Ministerium werden Jodtabletten künftig in einem größeren Umkreis verteilt. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima wurde 2011 einen neue 100-Kilometer-Zone dafür festgelegt. Daher werde erwogen, regelmäßige Katastrophenschutzübungen, die sich bisher auf die direkte Umgebung von AKWs beschränkten, möglicherweise auszuweiten. Rund um Cattenom wird auch der Aufbau von Notfallstationen geübt, die Alarmierung monatlich getestet.
Gleichzeitig wächst die Sorge im Kreis Bitburg-Prüm, weil Tihange auch in Belgien nicht mehr als sicher gilt. Und: In Frankreich tauchten 400 fehlerhafte Dossiers für große Kraftwerksbauteile auf. Landrat Joachim Streit appelliert daher an Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Belgiens Premier Charles Michel, doch auf Atomkraft zu verzichten, der er sich ausgeliefert fühle. Er befürchte Terroranschläge auf AKWs.