Ludwigshafen

Chefarzt: Gentest ist nicht für jede Frau sinnvoll

Bevor Angelina Jolie mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit ging, wussten viele Frauen kaum etwas von vorsorglichen Brustamputationen und erhöhten Risiken durch genetische Defekte. Eine Operation kann das Risiko drastisch senken, erklärt Wolfgang Weikel im Interview.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Von unserem Reporter Stefan Hantzschmann

Wann ist ein Gentest sinnvoll ist und wie kann eine amputierte Brust wieder rekonstruiert werden. Auf diese Fragen gibt der Chefarzt einer Ludwigshafener Frauenklinik im Gespräch mit unserer Zeitung Antworten.

Angelina Jolie trägt ein defektes BRCA1-Gen in sich. Gibt es weitere Gene, die das Brustkrebsrisiko erhöhen?

Bislang wurden drei Gene gefunden, mit denen etwa 15 bis 20 Prozent der Brustkrebsfälle erklärt werden können. Das dritte spielt wahrscheinlich eine etwas kleinere Rolle. Eigentlich unterdrücken diese Gene das Zellwachstum. Wenn sie aber defekt sind, erledigen sie diese Aufgabe nicht mehr und es kann Krebs entstehen.

Sollten jetzt alle Frauen einen Gentest machen lassen?

Der Gentest ist nicht für jede Frau sinnvoll. Erst wenn eine bestimmte Risiko-Konstellation auftritt, schicken wir die Frauen zum Testen. Dabei spielt das Alter der Frau eine Rolle und ob es in der Verwandtschaft weitere Fälle von Brustkrebs gegeben hat. Auch der Verwandtschaftsgrad ist wichtig. Mit Hilfe dieser Informationen können wir dann relativ gut das Risiko berechnen.

Wie läuft so ein Test ab?

Für den Gentest wird Blut entnommen. Außerdem nehmen die Frauen an einer genetischen Beratung teil, die in mehreren Brustkrebszentren in Deutschland angeboten wird. Dabei wird eine Stammbaumanalyse durchgeführt. Manchmal werden auch Verwandte gebeten, Blutproben abzugeben.

Ab welchem Risiko würden Sie empfehlen, die Brust vorsorglich entfernen zu lassen?

Das muss jeder selbst entscheiden. Dafür gibt es sehr gute Beratungen in den Brustkrebszentren. Dort werden die Frauen aufgefangen, wenn sie erfahren, dass ihr Risiko sehr hoch ist, an Krebs zu erkranken. Einige entscheiden sich gegen die Amputation und gehen lieber in kurzen Abständen zur Untersuchung.

Wie stark kann eine vorsorgliche Brustentfernung das Risiko senken, an Krebs zu erkranken?

Bei einer Brustentfernung wird das Risiko um etwa 90 Prozent gesenkt. Frauen mit genetischer Veranlagung zum Brustkrebs haben auch ein erhöhtes Risiko, Krebs in den Eierstöcken zu bekommen. Wenn sich eine Frau die Eierstöcke entfernen lässt, wird auch gleichzeitig das Risiko gesenkt, an Brustkrebs zu erkranken.

Wie läuft eine prophylaktische Brustentfernung ab?

Bei diesem Eingriff schälen wir das gesamte Drüsengewebe aus der Brust der Frau heraus. Fettgewebe und die Haut bleiben erhalten. Anschließend bauen wir die Brust mit Silikonimplantaten wieder auf – noch in der gleichen Sitzung. Außerdem entnehmen wir während der Operation eine Probe vom hinteren Teil der Brustwarze. Wenn diese Probe in Ordnung ist, kann auch die Brustwarze erhalten bleiben.

Es gibt Frauen, die eine keine Implantate Vertragen. Müssen diese Frauen auf eine Rekonstruktion ihrer Brust verzichten?

Nein. Es ist auch möglich, körpereigenes Gewebe zu verwenden. Der Eingriff ist etwas komplizierter – die Operation dauert etwa sechs bis acht Stunden – aber das Ergebnis kann auch sehr schön sein. Wenn die Brustwarze entfernt werden muss, wird es schon schwieriger. Denn die Brustwarze kann zwar rekonstruiert werden. Allerdings werden die betroffenen Frauen auch nach der Operation kein Gefühl in der Brustwarze haben. Wir arbeiten aber eng mit einer kosmetischen Pigmentiererin zusammen, die Brustwarzen mit Farbpigmenten abbilden kann und dabei sogar eine Dreidimensionalität erreicht. Frauen, die sich dafür entscheiden, sparen sich die Operation.

Wie sehen mittlerweile die Heilungschancen bei Brustkrebs aus?

Eigentlich ganz gut. Wenn wir den Krebs früh entdecken, wenn das Karzinom also noch kleiner als zwei Zentimeter ist und die Lymphknoten noch nicht befallen sind, liegen die Heilungsaussichten bei 95 Prozent. Allerdings sind die Krebsformen, die durch Genmutationen ausgelöst werden deutlich aggressiver als andere.

Wird der Gentest von der Krankenkasse bezahlt?

Ja, wenn ein entsprechendes Risiko bei einer Frau festgestellt wird, zum Beispiel, wenn es bereits Brustkrebsfälle in der Familie gab. Auch die vorsorgliche Entfernung der Brust wird bezahlt, wenn das Risiko hoch ist, dass die Frau an Brustkrebs erkrankt.

Können Prominente, die über viel Geld verfügen bessere Ergebnisse bei der Brustrekonstruktion erzielen?

Menschen mit viel Geld können sich einen plastischen Chirurgen suchen, der sich damit hervortut, Prominente zu operieren. Bei den plastischen Chirurgen gilt: Je prominenter der Arzt, desto teurer das Honorar. Ich denke aber, dass auch normale Brustkrebszentren sehr gute Ergebnisse erzielen.

Wie oft sollten Frauen zur Vorsorge gehen?

Alle Frauen sollten jedes Jahr zum Gynäkologen gehen und sich untersuchen lassen. Übrigens gilt das auch für Männer, die sich beim Urologen jährlich vorstellen sollten. Für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren kommt noch das Screening dazu, das alle zwei Jahre durchgeführt werden sollte. Jüngere Frauen mit einem erhöhten Risiko sollten regelmäßig zur Risikovorsorge gehen.

Angelina Jolie ist mit ihrer Entscheidung bewusst an die Öffentlichkeit gegangen. Könnte sich das große Medieninteresse positiv auf das Vorsorge-Verhalten von Frauen auswirken?

Einen positiven Effekt könnte das haben. Vielleicht lassen jetzt Frauen einen Gentest machen, die Brustkrebsfälle in der Familie haben und nicht wussten, selbst ein hohes Risiko zu haben, daran zu erkranken.